Nur wenige der bekannten Champagnermarken sind noch in Privatbesitz, das größte davon ist Laurent-Perrier. Es verdankt seine Fangemeinde einem genialen Kellermeister, einem mutigen Frauen-Trio und der außergewöhnlichen Cuvée Prestige Grand Siècle.
TEXT Patricia Engelhorn | FOTOS Joachim Baldauf
Lucie Pereyre wischt sich lässig ein paar Ponyfransen aus der Stirn. Ihre braunen Augen leuchten, wenn sie von den Weihnachtsfeiern in der Weinkellerei ihrer Familie erzählt: „Alle Angestellten sind gekommen, mein Großvater kannte jeden per Namen und niemand ging mit leeren Händen nach Hause“. Sie erinnert sich auch an die vielen Späße, mit denen er sie zum Lachen brachte, und an heiß umkämpfte Backgammon-Partien – fast immer stand eine Flasche Champagner in Greifnähe.
Kein Wunder: Der Großvater war Bernard de Nonancourt, in der Champagne auch als „le grand Bernard“ bekannt, was nicht nur auf eine Körpergröße von fast zwei Metern anspielte, sondern vor allem auf eine charismatische Persönlichkeit. Der große Bernard hatte 1948 mit nur 28 Jahren das kleine Champagnerhaus Laurent-Perrier von seiner Mutter übernommen und eine Weltmarke daraus gemacht. Wie? „Er war innovativ, mutig, zielstrebig, mitreißend und hatte eine geradezu diabolische Intuition“, sagt seine Tochter Alexandra Pereyre de Nonancourt, die das Unternehmen heute zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Stéphanie führt. Tochter Lucie ist erst seit ein paar Jahren dabei und vertritt die 4. Generation der Familie.
Mutter und Tochter empfangen auf Chateau de Louvois. Das elegante Anwesen mit seinem 50 Hektar großen französischen Garten wurde von Jules Hardouin-Mansart, dem Architekten von Versailles, dem Invalidendom und Place Vendome, entworfen, und auf der Ruine einer mittelalterlichen Festung errichtet. Es gehörte einst Michel Le Tellier, dem Kriegsminister unter Sonnenkönig Louis XIV, dann folgte eine wechselhafte Geschichte bis Bernard de Nonancourt 1989 das Schloss erwarb – nicht um dort zu wohnen, sondern um Laurent-Perrier-Gäste in angemessenem Rahmen willkommen zu heißen. Doch alles wirkt sehr privat: Im Salon sind die Wände holzvertäfelt, die Sofas tief und bequem, auf dem Kaminsims stehen Familienfotos und eine Aufnahme von King Charles, die anlässlich eines Besuchs auf dem Weingut entstanden ist. Dass der neue König sich hin und wieder von Laurent-Perrier beliefern lässt erzählt man hier ebenso gerne wie die Geschichte von. General de Gaulle, der den Namen der Prestige Cuvée von einer ihm vorgelegten Liste wählte: „Grand Siècle natürlich, Nonancourt, was sonst?“
Ein anspruchsvoller Name. „Ja, schon beinahe überheblich, nicht wahr?“, lacht Alexandra Pereyre, „mein Vater musste sich etwas einfallen lassen, um unser kleines Champagnerhaus bekannt zu machen. Laurent- Perrier kommt aus einem abgelegenen Dorf, während alle bekannten Kellereien in den Champagner-Hochburgen Reims oder Epernay residieren. Jeder Gastronom, Hotelier oder Weintester musste mühsam überredet werden, mal bei uns vorbeizuschauen. Anderseits gab uns diese Isolation eine geistige Unabhängigkeit. Diese Freiheit hat mein Vater genutzt, um seinen eigenen Weg zu gehen“.
Die Geschichte in Kürze: 1812 lässt sich der Fassbauer Alphonse Pierlot in Tours-sur- Marne nieder und beginnt, seinen eigenen Champagner zu produzieren. Aus nicht näher bekannten Gründen vermacht er den Besitz seinem Mitarbeiter Eugène Laurent, dessen Witwe Mathilde Emily Perrier später die Leitung übernehmen und die beiden Nachnamen zu Laurent-Perrier vereinen wird. Sie führt das kleine Champagnerhaus so gut sie kann durch den Ersten Weltkrieg und die Finanzkrise von 1929.
Zehn Jahre später steht das Unternehmen zum Verkauf. Marie-Louise de Nonancourt, Sproß aus der Champagnerdynastie Lanson, erwirbt es mit dem Plan, die Maison für ihre Söhne wieder aufzubauen. Ihr Erstgeborener kommt in der Résistance ums Leben, der etwas jüngere Bernard überlebt und wird zum Chef bestimmt.
Le grand Bernard macht sich ans Werk. Er wusste, dass Laurent-Perrier nur dann eine Chance haben würde, sich neben den größeren und bekannteren Champagnerhäusern zu behaupten, wenn er einen eigenen Stil finden würde. Und er hatte eine Idee, man könnte fast sagen, eine fixe Idee: Frische in den Champagner zu bringen. Denn in den 50er Jahren war Champagner ein lieblicher „demi sec“, der zum Dessert getrunken wurde. Bernard de Nonancourt aber wollte einen Aperitif-Wein kreieren und setzt dafür auf seine Lieblingsrebsorte Chardonnay. Erst erfand er den aromatischen, nach Zitrusfrüchten und weißen Blüten duftenden Brut, der heute La Cuvée heißt und mit rund 65 Prozent der Gesamtproduktion als Bestseller des Hauses gilt.
Dann lanciert er den Grand Siècle, Laurent-Perriers Cuvée Prestige. Die im Edelstahl ausgebaute Assemblage aus drei verschiedenen Jahrgängen und den besten Grands Crus Lagen gilt als Garant für Eleganz und Frische, die außergewöhnlich lange Lagerung auf der Hefe sorgt für Tiefe und Präzision. Der Grand Siècle sollte das Beste vom Besten sein – ein Champagner, den die Natur so nicht hergibt, jedenfalls nicht in einem einzelnen Jahrgang.
„Erst jetzt, durch seine Weine, lerne ich meinen Großvater richtig kennen“, erzählt Lucie Pereyre, „ich frage mich oft: wie hat er das alles gemacht?“. Nicht nur revolutionierte er im Alleingang die Art, auf die Champagner getrunken wird, er führte auch den Ausbau in Edelstahltanks in die Champagne ein, experimentierte vor allen anderen mit „ultra brut“- und „non dos.“-Weinen und steigerte wie nebenbei Produktion seines Unternehmens, bis es in Qualität und Menge mit den Big Names seiner Zunft mithalten konnte. Laurent-Perrier ist heute das mit Abstand größte unter den eigenständigen Champagnerhäusern und steht mit einer Jahresproduktion von acht Millionen Flaschen auf Platz 5 der marktführenden Produzenten.
Der Firmensitz im 1400-Seelen-Dorf Tours-sur-Marne wirkt allerdings nicht wie der eines global agierenden Unternehmen: Produktion, Kellerei und Büros befinden sich in den historischen Pierlot-Gebäuden, ein Teil davon stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, ein Teil davon ist älter. Bis in die 1980er Jahre war dies auch der Wohnsitz der de Nonancourts – vom kopfsteingepflasterten Hof führt eine Außenstiege zu den ehemaligen Zimmern der Schwestern, die nicht sonderlich großen Salons der Familie sind über eine enge Wendeltreppe erreichbar. Andere Stufen enden in der kühlen Unterwelt der zwölf Kilometer langen Kreidekeller, in denen rund 700 glänzende Edelstahltanks, unzählige Rüttelpulte und etwa 700.000 Hektoliter Reserveweine, die für die Assemblagen benötigt werden, untergebracht sind.
Irgendwo in diesem schummrigen Labyrinth führt ein schnurgerader, von 14 imposanten Edelstahltanks flankierter Gang zu einem hochmodernen Verkostungsraum. Dieser speziell dem Grand Siècle gewidmete Kellerbereich entstand 2013, dem Jahr nach dem Tod von Bernard de Nonancourt, auf Wunsch der Töchter: „Wir müssen nach vorne blicken“, lautete ihr Credo, „wir können auch ohne unseren Vater besser werden“.
Schließlich stand ihnen Michel Fauconnet zur Seite, seit rund 50 Jahren Kellermeister bei Laurent-Perrier. Als er als 21-Jähriger bei Laurent-Perrier anfing, wurden dort 1,5 Millionen Flaschen produziert, 1979 waren es schon fünf Millionen. Die ganze Champagne erlebte damals einen Schub, in nur einem Jahrzehnt verdoppelte sich die Gesamtzahl der Flaschen von 100 auf 200 Millionen, inzwischen sind es 300 Millionen. Doch Laurent-Perrier produzierte nicht nur immer mehr, sondern auch immer besser. „Unsere Weinberge werden penibel gepflegt, unsere Zulieferer sorgfältig ausgewählt, wir lassen unsere Champagner länger reifen als die meisten und bringen weniger Jahrgangsweine auf den Markt wie der Rest der Champagne“, erklärt Michel Fauconnet, der alleine für die Assemblage von La Cuvée rund 300 stille Weine testet – mehrfach, jedes Jahr. „Wir sind anspruchsvoll und selektionieren sehr stark“, bestätigt Alexandra Pereyre, „aber wir arbeiten auch an uns, an unserer Technik und dem Umgang mit den Reben“.
Auf Chateau de Louvois wird das Mittagessen angerichtet, ein Butler mit weißen Baumwollhandschuhen serviert ofenwarme Parmesan-Bisquits und Grand Siècle Nr 25, der 12 Jahre im Keller gealtert ist und Ende 2021 als bislang letzter auf den Markt kam. Er duftet nach Aprikosen, Zitrusfrüchten und Gebäck, fließt wie Seide am Gaumen entlang und hinterlässt ein Gefühl von Frische, das zum erneuten Zugreifen verführt. Zum Risotto mit weißen Trüffeln wird ein etwas älterer Grand Siècle gereicht, zum Dessert ein Alexandra Ros., den Bernard de Nonancourt und nach seiner Erstgeborenen benannt hat. Er passt perfekt zur luftigen Vanillecreme mit rosa Grapefruit und Hibiskusblüten und leuchtet lachsrosa im Glas, „wie der Sonnenaufgang über dem Marne-Tal“, findet Lucie Pereyre.
Keine Frage, diese Familie ist mit ihrer Erde verwurzelt und auch mit den Traditionen der Champagne. Aber: „Wir wollen nicht alles erhalten, wie es einmal war“, erklärt Alexandra Pereyre de Nonancourt, „es geht um das Verständnis von Geschichte und Fortschritt. Man muss die DNA von dem, was man tut, verstehen. Erst dann kann man erneuern, erst dann ist man frei“. Laurent-Perrier war schon immer ein innovatives Champagnerhaus – und wird es wohl auch bleiben.
DOMAINE LAURENT-PERRIER
51150 TOURS-SUR-MARNE,
FRANKREICH