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TEXT | FOTOS Jochen Rädeker
Warum das legendärste, das spannendste und das beste Restaurant der Welt in Kopenhagen zuhause sind. Unser Autor schwärmt von der Foodie-Metropole – den ganzen Text mit vielen Tipps und Adressen lesen Sie im aktuellen Henris-Magazin.
Mangel, so heißt es bei Vergil, war schon immer ein besonderer Treiber für Kreativität, und extreme Bedingungen befeuern extreme Leistungen: Wenig belegt diese Theorie besser als die Küche Skandinaviens. Nur eine Handvoll pulsierend-intensive Wochen währt der flirrende „Midsommar“ – und wechselt allzu schnell zu langen, düsteren und jedes Wachstum im Keim erstickenden Winternächten. Die nordische Kulinarik mäandert deshalb zwischen der Würdigung jeder zarten Sprosse in der „Growing Season“ – und den über viele Generationen perfektionierten Techniken, um die Resultate der kurzen Wachstumsperiode für den langen Winter haltbar zu machen.
Die Not zur Tugend gemacht
„Preservation Season“ nennt man das folgerichtig etwa im Restaurant „Kadeau“. Eingekochtes, Getrocknetes oder Gedörrtes, Eingelegtes, Fermentiertes, Geräuchertes oder Gepökeltes und Gezuckertes ist seit jeher aus der nordischen Küche nicht wegzudenken – und traf, anders als in anderen klimatisch benachteiligten Regionen, auf eine gehörige Portion Kreativität und den auch unternehmerischen Mut, die Not zur Tugend und die neu entdeckten alten Techniken zur Basis einer eigenständigen Fine Dining-Experience zu machen. Gepaart mit dem weit- gehenden Verzicht auf Fleisch haben insbesonders dänische Köche damit den aus der Fülle des Mittelmeerraums schöpfenden Franzosen, Spaniern und Italienern, was die einschlägigen Positionen in den globalen Kulinarik-Rankings angeht, den Rang längst abgelaufen.
Selbstbewusst aus gutem Grund: Ein Ausstattungsdetail aus dem „Geranium“
zeigt Küchenchef Rasmus Kofoed in Öl nebst Devotionalien – seine Bocuse d’Or-Sammlung steht ein Regal weiter…
Untrennbar mit diesem Siegeszug verbunden war bis dato vor allem ein Name: René Redzepi. Der große Vordenker der Nordic Cuisine ist in seinem legendären „noma“ aber schon seit längerer Zeit kaum noch anzutreffen – und folgerichtig schließt das über viele Jahre unangefochten weltbeste Restaurant zum Jahresende. Auch weil Redzepi freimütig bekennt, dass er seine rund 100 Mitarbeiter nicht mehr fair bezahlen kann, wenn die Preise noch marktgängig bleiben sollen.
500 Euro für das Menü im noma
„Marktgängig“ ist dabei allerdings gerade in Kopenhagen ein dehnbarer Begriff – gerade erst hat eine Untersuchung von chefspencil.com die Stadt zur mit weitem Abstand weltweit teuersten Foodie-Destination gekürt. Das Menü im „noma“ schlägt mit über 500 Euro zu Buche – ohne Getränke, versteht sich. Und die sind in Skandinavien ungleich teurer als im deutschsprachigen Raum. Faktor zehn auf den Wein-Einkaufspreis hierzulande ist eine durchaus übliche Kalkulation, die flüssige Begleitung entsprechend meist noch teurer als die ohnehin schon saftige Rechnung fürs Essen: Im „Geranium“ etwa, dem Nachfolger des „noma“ an der absoluten Welt- spitze, kostet das Menü 560€, für die drei Varianten der Weinbegleitungen sind zwischen 600 und 2.700€ fällig. Im „Alchemist“, dem vermutlich weltweit außergewöhnlichsten Restaurant, bezahlt der Durchschnittsgast deutlich über 1.000€ für den Abend.
130 Mitarbeiter für 52 Gäste
Und selbst diese Preise sind noch nicht auskömmlich: Lars Seier, der milliardenschwere Inhaber, sowohl von „Geranium“ als auch von „Alchemist“, legt dabei immer noch kräftig drauf. Denn anders als manch deutscher Gourmettempel, der sein Heil in hohen Preisen sucht, gleichzeitig aber an Personal und Produkten spart, arbeiten im „Alchemist“ für die Bespielung der 52 Plätze 130 fest angestellte Mitarbeiterinnen, und mit edelsten Zutaten wird nicht gegeizt.
Ist das alles absurd – oder eine künstlerisch-kulturell-sensorische Ausnahmeleistung, die ihren Preis wert ist? Endet angesichts dieser Entwicklung mit dem Schließen der Pforten im „noma“ auch die goldene Foodie-Ära in Kopenhagen?
Dem sind wir an einem intensiven, langen und ja, auch teuren Wochenende nachgegangen, im wahrsten Sinne. Drei Streckenvorschläge haben wir für Sie mitgebracht, auf denen neben den kulinarischen Erfahrungen auch frische Luft, Sightseeing und Shoppingadressen ihren Platz finden, dazu weitere Tipps.
Sparschwein bitte schlachten!
Die Antwort sei vorweggenommen: Kopenhagen ist es – trotz aller Vorrede – wert, das Sparschwein zu schlachten. Nachahmung also empfohlen! Übrigens: Während in deutschen Spitzenadressen die Gäste zunehmend ausbleiben, stehen über 100.000 Leute auf der Warteliste des „Alchemist“. Plätze im Geranium gibt es mit viel Glück vier Monate im Voraus. Rechtzeitige Buchung ist also angezeigt, denn dank verbesserter Arbeitsbedingungen sind auch die Öffnungszeiten begrenzt – die Lücken lassen sich aber auch noch vor Ort aus einer gigantischen Auswahl guter und sehr guter Restaurants schließen.
TITELFOTO: Versuchsküche hinter der Lobby im „Alchemist“