Genussguide Südtirol: Südtirols Süden
TEXT Karl Joseph | FOTOS IDM Südtirol/Angelika Schwarz, IDM Südtirol/Benjamin Pfitscher
Durch das milde Kontinentalklima ist der Weinbau im Südtiroler Süden von der Talsohle bis weit über 1.000 Höhenmeter möglich. Stolze Ansitze, mächtige Burgen und wehrhafte Schlösser – Zeugen erbitterter Grenzkämpfe im Mittelalter – sind heute Etappenziele gemütlicher Wanderungen und anspruchsvoller Radausflüge. Archaische, tiefe Weinkeller wechseln sich mit designten Panorama-Terrassen ab: Alle Völkerwanderungen haben die Region geprägt und bunter gemacht.
Entlang der Südtiroler Weinstraße erstreckt sich das größte zusammenhängende Weinbaugebiet der Region. Bleiben Reisende länger im Süden Südtirols, dann entdecken sie vieles, was wie ein Vorgeschmack auf das Land, wo die Zitronen blühen (Goethe), was wie ein Vorposten von Italien wirkt: die hügelige Rebenlandschaft, die Zypressen und Olivenbäume, die von der Renaissance inspirierten Ansitze und auch die wehrhaften, auf schroff abfallenden Felsen erbauten Burgen.
Ein großer Teil der mittelalterlichen Architektur ist grob und sollte in früheren, unsicheren Zeiten die Leute von auswärts abschrecken wie die Wehrtürme in der Toskana: „Seht her“, so die steinerne, mit Falltüren verstärkte Botschaft, „hier lassen wir uns von euch nicht so einfach den Schädel einschlagen!“ Aber das ist ewig her. Heute entstehen hier grenzüberschreitende Weinfreundschaften und grenzenloses Vergnügen. Und außerdem freut sich der Gast unserer Tage auf die vielen Sonnenstunden in Eppan, Kaltern, Tramin, Kurtatsch, Margreid.
Die Südtiroler Weinstraße beginnt in Nals, führt über Andrian ins Überetsch nach Eppan und Kaltern und über Terlan nach Bozen und ins Unterland nach Pfatten, Auer, Montan, Neumarkt bis nach Salurn und von dort über Kurtinig nach Margreid, Kurtatsch und Tramin. Die berühmteste und wegen ihrer Kulturlandschaft wohl auch schönste Straße Südtirols ist in Anlehnung an die Deutsche Weinstraße im Jahre 1964 gegründet worden. Bereits in der mittleren Eisenzeit (6. bis 5. Jh. v. Chr.) haben die Räter hier eine systematische Weinkultur betrieben, mit Anbau, Erziehung und Schnitt von Rebstöcken. 15 v. Chr. dringen die Römer aus der Po-Ebene kommend nach Norden in das Etschtal vor, erobern das Gebiet Südtirol und staunen über die blühende Weinlandschaft. Als erster namentlich bekannter römischer Winzer im Gebiet Südtirol gilt der Legionär Cornelius, der in herrlicher Eppaner Panoramalage, genauer gesagt auf Girlan, einen stattlichen Weinhof bewirtschaftete. Heute führt ein mustergültig angelegter Weinlehrpfad durch die archaisch anmutenden Girlaner Rebenanlagen, die noch zu einem großen Teil von den „Pergeln“, den traditionellen Südtiroler Weinlauben, geprägt sind. Ein idyllischer Wein-Wanderweg, auf dem die Gäste auf Schautafeln ausführlich informiert werden.
Südtirols Süden hat eine famose Gastronomie. Hier treffen die bodenständige, deftige, einheimische Bauernkost, die würzige und pikante italienische Küche, aber auch die raffinierte und charmante Wiener Schule wohlwollend aufeinander. Es gibt keine italienische Region, in der es – gemessen an der Einwohnerzahl – so viele Feinschmecker-Restaurants, Gourmet-Trattorien oder Gustostückerl-Almhütten gibt. Ganz allgemein ist Südtirol das Land des Wassers, das Land der duftenden, steilen Wiesen und das Land der Wälder und der schönsten Wanderwege in beinahe unberührter Natur. Während in anderen Regionen die Viehwirtschaft zusammengebrochen ist zugunsten der Obstwirtschaft, ist die Fleisch- und Milchproduktion in Südtirol ein wichtiger Faktor im Wirtschaftsleben geblieben. Die Almen und ihre Viehwirtschaft in den südlichen Südtiroler Berggebieten sind einzigartig. Auf einem Quadratmeter Bergwiese finden sich bis zu 80 verschiedene Gräser, Kräuter und Blumen – Frauenmantel, Edelraute, Küchenschelle, Schafgarbe, Enzian, Arnika, Primeln und wie sie alle heißen. Die Rinder, Schafe und Ziegen genießen die Ruhe, das frische Bergwasser und die würzigen Kräuter der Almwiesen. Für die Besucher sind die saftigen Aldeiner, Trudner, Montaner und Radeiner Almen Orte der Entschleunigung. Land- und Forstwirtschaft lebt und überlebt hier aus der gesunden Symbiose mit nachhaltig-sensiblem Tourismus, aus ebenso sensiblem Umgang mit den natürlichen Ressourcen Kulturlandschaft, Weide, Wald, Alm. Die Lebensmittel, die hier hergestellt werden, sind naturrein und ursprünglich. Viel Bewegung, frische Luft und artenreiche Gräser sowie Kräuter sorgen für erstklassiges Fleisch und schmackhafte Milch. Ganz selbstverständlich wechseln die Speisekarten der Alm- und Hüttenwirte und -Wirtinnen zwischen deftiger, traditioneller Bauernküche und italienischen Gustostückerln. Das Ergebnis ist eine Kochkunst mit einem fantastischen Einfallsreichtum.
Das Tischlein-deck-dich ist reichhaltig: In Tallagen dominiert der Apfel-, in mittleren und höheren Lagen der Weinanbau und in den Berggebieten (Altrei, Truden, Aldein) die Viehwirtschaft. In den letzten drei Jahrzehnten haben visionäre Kellermeister, wagemutige Bauern und unerschrocken tüftelnde Spitzenköche eine erstaunliche Wiedergeburt traditioneller Gerichte, Produkte und Garmethoden im Geiste der Moderne ausgelöst. Es gibt Edelpilze und Nudel-Delikatessen aus Aldein, Lupinen-Kaffee aus Altrei, „Polenta“, also Maismehl, aus Kaltern und Tramin, „Agrest“, einen Verjus Kalterer Prägung, dann noch Bergkräuter-Tee von der Laimburg, Obst- und Riserva-Essig aus Kurtatsch, Safran aus Nals-Sirmian. Und natürlich Spargel aus Terlan!
In Südtiroler Kochbüchern taucht der Spargel als Königsgemüse erst gegen Ende der Habsburger-Monarchie auf. Es waren vor allem beherzte und wagemutige Terlaner Gastwirte wie Patauner oder Schwarz-Huber, die schon vor über 100 Jahren ein bisschen Spargel anbauten, um die behäbigen „Stadtler“ aus Bozen und Meran mit fleischigen Spargelstangen und kräftiger Bozner Sauce aufs Land locken zu können. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, als der Apfel nach und nach Weizen und Mais aus den Etschtaler Gebieten verdrängte, verlor auch der Spargel seine kleinen Nischen. Als dann der Apfelmarkt in den 1990er-Jahren etwas nachließ, stellten ein paar Obstbauern auf Spargelanbau um: 1995 wurde der Spargelverein gegründet, in enger Zusammenarbeit mit der Kellerei Terlan, wo das edle Gemüse angeliefert, gewaschen, geschnitten, gekühlt, kurz zwischengelagert und rasch verkauft wird. Der geschützte Name des Terlaner Spargels – „Margarete“ – erinnert an die berühmteste historische Persönlichkeit von Terlan, an die selbstbewusste Margarete von Maultasch, die im Mittelalter Herrin über Tirol war.
In der Gegend von Südtirol ist Mais, das neue Getreide aus Amerika, schon sehr früh angebaut worden, die erste schriftliche Nennung stammt aus dem Amt von Salurn anno 1573. Besonders im Bozner Unterland, wo die mäandernde Etsch oft über die Ufer trat und den Sumpf zwischen dem ohnehin kleinen Acker- und Weideland vergrößerte, wurde der Anbau von Mais sehr gefördert. Trotz aller Hektik unseres selbst gewollten, computergestützt-motorisierten Arbeits- und Freizeitlebens ist das Überetscher und Unterlandler „Plent“-Ritual, das Kochen des Maisbreis – im Dialekt „Plent“, abgeleitet vom italienischen „polenta – in geselliger, größerer Menschenversammlung gleich langsam geblieben wie früher: Unter einer Stunde Kochzeit ist es kein richtiger „Plent“. Irgendwie erinnert sogar der langsame Sprechrhythmus der Überetscher und Unterlandler, mit ihren gedehnten, beinahe italienisch gesungenen Vokalen, an einen vor sich hin blubbernden „Plent“ im Kupferkessel.