Winzerinnen und Winzer protestieren gegen Zerstörung der Kulturlandschaft

Eine geplante Stromtrasse durch die historischen Weinberge in Hochheim – das bringt die Winzerinnen und Winzer im Rheingau auf die Barrikaden. Im Internet haben sie eine Petition gegen das Vorhaben gestartet, knapp 7.000 Unterschriften sind schon zusammengekommen.

Jetzt teilen

TEXT Anke Kronemeyer I TITELFOTO Anke Kronemeyer

600 Kilometer lang wird die Rhein-Main-Trasse sein, die von Ovelgönne im Norden Deutschlands bis nach Südhessen gelegt wird, um das bevölkerungsreiche Rhein-Main-Gebiet auch in Zukunft mit Strom zu versorgen. Bundesnetzagentur und Amprion stehen hinter den Plänen. 2028 soll Baustart sein, 2033 der Strom fließen. Aber: Genau diese Trasse würde zu einem Teil durch 2000 Jahre alte Weinberge in Hochheim führen und nach Ansicht der 53 Winzerinnen und Winzer, die diese Fläche bewirtschaften, nicht nur die einzigartige Kulturlandschaft zerstören. „Wenn die Trasse so kommt wie geplant, kann ich die Hälfte meiner Mitarbeiter entlassen“, sagt VDP-Winzer Gunter Künstler, einer der Wortführer der Protestaktion. Er und seine Mitstreiter haben bereits eine Alternativtrasse längs der Autobahnen A3 und A67 geplant, sammeln aktuell vor allem Unterschriften und betreiben eine groß angelegte Informationskampagne mit dem Ziel, die Trasse durch die Weinberge zu verhindern.

Was die Winzer umtreibt

Der drohende Zerfall der Kulturlandschaft, das Abholzen von Reben auf einer Fläche von 65 Hektar, sinkender Umsatz, Mitarbeiter, die entlassen werden würden, Schaden für den Tourismus in der Region – das ist noch nicht alles, was die Winzer in ihrer Sorge umtreibt. Die Reben aus den Lagen Domdechaney, Kirchenstück oder Hölle, zum Teil 2000 Jahre alt, gehören zum kompletten Ensemble in Hochheim inklusive der Altstadt und der Gassen, die unter dem Schutz der Genfer Konvention stehen. „Damit darf das alles nicht zerstört werden“, weist Künstler auf diese erweiterte Form des Denkmalschutzes hin.

Dass die Weine aus Hochheim zudem ein besonderes Ansehen vor allem im Ausland genießen, belegt er mit einer Weinkarte des Restaurants Andres Bros, New Bond Street in London, aus dem Jahr 1896. Deutsche Weine wurden in England schon im 17. Jahrhundert „Hock“ genannt – angelehnt an „Hochheim“. Und unter der Überschrift „Hock“ findet man auf der historischen Karte alle möglichen deutschen Weine. Für Künstler steht fest: „Der Hock ist das Synonym für deutschen Wein im Ausland – und das gilt heute noch.“

Die historische Weinkarte aus England beweist es: Wein aus Hochheim, genannt „Hock“, gilt als Synonym für deutschen Wein. Repro: ak

Experten entwickeln eine Alternative

Dass durch den Bau der Trasse neben den 65 Hektar Weinberge außerdem 224 Hektar Wald zerstört würden, wird als weiteres gewichtiges Gegenargument aufgeführt. Schließlich würden die Reben 20 bis 30 Tonnen CO2 pro Jahr aufnehmen, und ein Hektar Weinberg produziert so viel Sauerstoff, dass damit 20 Personen versorgt seien. Für die Winzer steht fest: keine Stromtrasse durch unsere Weinberge! Darum haben sie mit Experten eine Alternativtrasse entwickelt. Diese könnte parallel zur bereits bestehenden Ethylen-Pipeline des Industrieparks Höchst und damit längs der Autobahnen A3 und A67 führen und würde die Weinberge nicht tangieren. Diese alternative Trasse werde auch von der Politik favorisiert, so Künstler, der mit Ministern, Landräten und Bürgermeistern in regem Kontakt steht.

Dem Dortmunder Übertragungsnetzbetreiber Amprion, der die Stromtrasse im gesetzlichen Auftrag plant und baut, ist die Planungssituation vor Ort bekannt. Man sei sich der Sensibilität um die historischen Reben und Weinanbauflächen bewusst, heißt es dort. Aber: „Die bindende Planungsgrundlage für die Trasse ist der Präferenzraum, der diesen Raum umfasst“, so eine Sprecherin. Man könne aktuell noch nicht „Flurstücks-scharf“ sagen, wo und wie – „aber wir arbeiten daran, bestmöglich mit der Situation vor Ort umzugehen.“ Aktuell sei gesetzlich vorgegeben, dass derartige Stromtrassen als Erdkabel verlegt werden. Nach Abschluss der Bauarbeiten in der offenen Bauweise dürfen auf dem Schutzstreifen der Leitung keine tiefwurzelnden Gewächse wieder angesetzt werden. „Wir prüfen für diesen Bereich die bautechnischen Möglichkeiten einer geschlossenen Querung, die es ermöglichen würde, dass die Weinreben bestehen bleiben können.“

Als nächster Schritt Enteignungen?

Alternative, so die Amprion-Sprecherin, seien Freileitungen, die einen geringeren Eingriff in den Boden darstellen. Amprion ist an die Gesetzesvorgaben aus Berlin gebunden und plant daher weiter mit Erdkabeln. Ganz generell sei die Stromtrasse von „überragendem öffentlichen Interesse“, so die Sprecherin. Das bedeute, dass für die Umsetzung Grundstücke in Anspruch genommen werden müssen, für die Amprion eine so genannte Grunddienstbarkeit im Grundbuch hinterlegen muss. Heißt übersetzt: Es kann auch enteignet werden.

„Offen für Planungshinweise“

Jetzt gelte es erst mal in den nächsten anderthalb Jahren in die konkrete Planungsphase einzusteigen. „Wenn der Planfeststellungsbeschluss erlassen wird, gilt Baurecht.“ So lange können aber noch Bürger und andere Träger öffentlicher Belange ihre Bedenken äußern. „Wir sind offen für Planungshinweise und streben eine, unter Berücksichtigung sämtlicher Belange, bestmögliche Lösung an.“ Es würden alle Hinweise geprüft. Baubeginn soll laut Plan 2028 sein, Strom dann 2033 fließen. Falls niemand gegen den Rhein-Main-Link klagt.

Die Winzer haben sich gerade einen Anwalt genommen und besprechen das weitere Vorgehen mit ihm. Fest steht, dass sie bis zum 5. September ihre Einwände beim Bundeswirtschaftsministerium, bei der Bundesnetzagentur und bei Amprion eingebracht haben müssen. Unterstützung haben sie auch schon beim Deutschen Weininstitut gewonnen. Deren Sprecher Ernst Büscher sagt: „Wir denken, wenn es möglich ist, die Stromtrasse so zu verlegen, dass keine Spitzenweinlagen in Mitleidenschaft gezogen werden, sollte man diese Alternative auch nutzen.“

Winzerinnen und Winzer sammeln Unterschriften gegen Stromtrasse durch die historischen Weinberge in Hochheim:

Rheingauer Winzer um Gunter Künstler haben im Internet eine Petition gestartet, mit der sie bis Anfang September Unterschriften gegen eine geplante Stromtrasse durch die historischen Weinberge in Hochheim sammeln. Die Unterschriftenliste soll am 5. September dem Bundeswirtschaftsministerium, der Bundesnetzagentur und dem Stromnetzbetreiber Amprion überreicht werden:

Trassen Planungsbereich in Hochheim

Titelbild: Der Winzer Gunter Künstler inmitten der historischen Weinberge im Rheingau. Genau hier soll eine Stromtrasse verlegt werden.

Ähnliche Artikel