Wer sich vorgenommen hat, die berühmte Champagner-Meile von Epernay zu erkunden, kommt an einem ganz besonderen Haus nicht vorbei: Mitten auf der Avenue de Champagne bietet die Maison Perrier-Jouët weit mehr als nur edle Tropfen; Eine (Zeit-)Reise zwischen Kunst, Kultur und Keller-Vielfalt.
Tradition verpflichtet, ganz besonders in der Champagne. Auf Nummer 26 der knapp einen Kilometer langen Avenue de la Champagne wird deshalb auch sehr behände vorgegangen, wenn es um die Übertragung der hauseigenen DNA in die Zukunft geht. Mit allen Facetten, die die Welt der Maison Perrier-Jouët eben ausmachen.
Um Gegenwart und Zukunft fassen zu können, muss man allerdings erstmal in die Vergangenheit blicken: Begonnen hat alles mit der Hochzeit von Pierre-Nicolas Perrier und Rose-Adélaïde Jouët im Jahre 1810. Er ein erfahrener Winzer und Botaniker, sie eine kultivierte, junge Frau aus einer Kaufmannsfamilie in der Normandie. Kurz nach der Heirat gründete das Paar die Maison Perrier-Jouët mit der Vision, ein Champagnerhaus zu schaffen, das sich von all den anderen abhob. Die Maison diente fortan als Familiensitz, Künstler gingen ein und aus und auch die Erben des Gründerpaares forcierten deren Grundgedanken. Als Eugène Gallice, der Schwager ihres Sohnes, das Haus im Jahr 1850 nämlich erwarb, verkehrte sein Sohn Octave bereits in den Pariser Kreisen der künstlerischen Avantgarde. Und er war es auch, der bei Émile Gallé, einem der Pioniere des französischen Jugendstils Art Nouveau, das ikonische Dekor in Auftrag gab – welches der Künstler 1902 präsentierte: Vier mit weißen, japanischen Anemonen verzierte Flaschen, noch heute unverwechselbares Markenzeichen des Hauses Perrier-Jouët.
Von Majorelle bis Murano
Neben Gallé beherbergt die 2017 neu renovierte Maison eine Vielzahl weiterer Meisterwerke – angefangen von Louis Majorelle über François-Rupert Carabin und Henri de Toulouse-Lautrec bis hin zu Auguste Rodin. Insgesamt ist die Sammlung mit über 200 ausgesuchten Art-Nouveau-Objekten die größte Privatkollektion des französischen Jugendstils in Europa. Seit 2012 beauftragt das Haus Jahr für Jahr ein kreatives Talent damit, das Erbe des Jugendstils im 21. Jahrhundert neu zu interpretieren. So kann man heute Arbeiten wie die aufwendige Installation „All’Ombra della luce“ der japanischen Künstlerin Ritsue Mishima bewundern – 215 Scheiben aus Murano-Glas, die an der Bar wie überdimensionale Champagner-Bläschen von der Decke hängen. Oder „Einrichtungsgegenstände“ von besonderem Wert, wie ein Bett von Hector Guimard, jenem Architekten, der die berühmten hellgrünen Eingänge der Pariser Métro entworfen hat. Die gute Nachricht: Die Maison steht für Besichtigungen zur Verfügung, auch ein mehrgängiges Dinner im Restaurant (unter der Schirmherrschaft von Starkoch Pierre Gagnaire und der Leitung von Perrier-Jouët-Chefkoch Sebastien Morellon) gilt als absolutes Muss für genussverliebte Champagne-Besucher. Die schlechte: Übernachtet werden kann in einem der sieben individuell gestalteten Zimmer nur auf Einladung. Für „Ersatz“ ist jedoch gesorgt: Erst im April wurde die Wiedereröffnung der „Belle Epoque Society“ gefeiert – Erlebniswerkstatt, Champagner-Bar, Wintergarten und Hof im Herzen von Epernay inklusive.
Im Keller hat eine Frau das Sagen
Einen besonderen Wow-Effekt erfährt der Gast auch im Keller, in dem die kostbarsten und ältesten Jahrgangschampagner lagern, die bis in das Jahr 1825 zurückreichen. Er befindet sich direkt unter der Maison, ist rund zehn Kilometer lang sowie bis zu 25 Meter tief und beherbergt fast zehn Millionen Flaschen. Der Keller ist heute das Reich von Séverine Frerson. In all den 200 Jahren der Geschichte beschäftigte Perrier-Jouët gerade einmal acht Kellermeister. Frerson, seit Oktober 2020 im Amt und Nachfolgerin des legendären Hervé Deschamps, ist die erste Frau auf diesem Posten. Und hat allerhand zu tun: Frerson überwacht die Pflege der Reben sowie die gesamte Zeit bis zur Ernte im September, in weiterer Folge werden die Trauben in traditionellen Pressen direkt in den Weinbergen gepresst, um so eine bestmögliche Qualität zu garantieren.
Perrier-Jouët verfügt in der Champagne über eine Rebfläche von insgesamt 65 Hektar, die umliegenden Grand Cru-Lagen in den Gebieten Aÿ, Mailly, Avize und Cramant sind berühmt für die erstklassige Qualität der klassischen Champagnersorten Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier, aus denen sie ihren edlen Schaumwein keltern. Die Lese erfolgt übrigens per Hand – und das seit inzwischen mehr als 200 Jahren. Womit wir wieder bei der Tradition wären.
TEXT Ursula Macher / FOTO Perrier-Jouët Maison Belle Epoque