INTERVIEW Ursula Macher | FOTOS Birnbaums Fischzucht
Als wir Johannes Nuding Ende 2021 besuchten, war er gerade dabei, in London seine Zelte abzubrechen. Nach acht Jahren in der Metropole an der Themse, nach mehr als einem Jahrzehnt an der Seite von Ausnahmekoch Pierre Gagnaire, wagte der junge und gleichsam höchstdekorierte österreichische Koch der Gegenwart den Absprung. Ihn zog es zurück in die Heimat, nach Hall in Tirol, wo er heute gemeinsam mit Ehefrau Lilit das familieneigene, 400 Jahre alte Gasthaus „Schwarzer Adler“ führt – mit einem Fine Dining Restaurant und einem Bistro. Zeit für eine erste Zwischenbilanz.
Anfang des Jahres haben Sie einen bedeutenden Schritt gewagt – weg aus London, zurück nach Tirol, in die Selbständigkeit. Wie waren die ersten Monate in der alten, neuen Heimat?
Die ersten Monate fühlen sich genauso an, wie die ersten Monate bei jedem neuen Projekt, das ich mit Pierre Gagnaire hatte: Ankommen, aufbauen, eröffnen, verbessern, analysieren, verbessern, anpassen, einen Rhythmus finden, weitermachen, verbessern… Ich war so lange weg, dass ich meine neue, alte Heimat erst wieder kennenlernen muss.
Gab es positive bzw. negative Überraschungen?
Im Allgemeinen eigentlich nur positive. Mein Kochstil wird sehr gut angenommen, ebenso die französisch-lastige Weinkarte. Die Nachfrage nach beiden Konzepten – sowohl Bistro Secco als auch das Restaurant Schwarzer Adler – ist sehr groß.
Seit Anfang Juli kochen Sie nun im Schwarzen Adler bzw. im Bistro Secco. Was war oder ist Ihnen beim Konzept wichtig?
Mir ist wichtig, dass wir ehrlich kochen – und zwar so, wie wir wollen und es für richtig empfinden. Im Secco soll das Ambiente leger sein, unkompliziert, relaxed. Die Karte darf sich spontan ändern. Serviert werden frisch gekochte und zubereitete Gerichte, die von der Saison, vom Marktangebot und von unserer Lust und Laune inspiriert werden. Man kann sich mehrere kleine Gerichte zusammenstellen und sich so durchkosten. Mit dem schönen Wetter zurzeit ist das herrlich auf der Terrasse. Für die kalte Jahreszeit werden wir das Konzept anpassen müssen. Dazu kann man Weine glasweise trinken oder die Flaschen aus unserem Weinkeller bestellen.
Im Adler servieren wir ein Menü, das sich ebenfalls spontan ändern kann. Hierbei tauschen wir uns mit Produzenten, Bauern, Jägern und Lieferanten aus, um nur die besten Zutaten zu finden und diese dann in unserem Stil zuzubereiten. Die Natur entscheidet, wir kochen, der Gast vertraut uns.
Sie gelten als einer, dem ein gutes Team sehr wichtig ist. Nun leidet allerdings die Gastronomie gerade unter einem massiven Mitarbeiter-Schwund. Wie geht es Ihnen damit? Haben Sie aus London Leute mitgenommen?
Ohne die Menschen und eine Seele, die das Haus füllt, bleibt nur eine Hülle aus schönen Möbeln, Tischdecken und viel Edelstahl übrig. Wir haben wahrscheinlich genau die gleichen Probleme wie viele andere auch. Wir stellen nach und nach neue Mitarbeiter ein, bauen sie auf und sie sollen dann mit dem Restaurant mitwachsen. Ich habe niemanden aus London mitgebracht, aber ich werde von meiner Frau Lilit begleitet, die aus der gleichen Branche kommt und sich um den Bereich Front of House kümmert. Und auch von Thomas Leitner, der selbst jahrelang unter anderem für die Gebrüder Obauer, Joel Robuchon, Pierre Gagnaire und Billy Wagner gearbeitet hat.
Was unterscheidet den Gast Ihrer bisherigen Wirkungsstätte von dem in Hall? Und was ist anders an Ihrer Küche?
Unsere Gäste – egal ob in Paris, London, Moskau oder Hall – haben meist das gleiche Anliegen: Gut essen, trinken und einen schönen Moment zu verbringen. In der Küche ist der größte Unterschied, dass ich (noch) keine 18-köpfige Mannschaft habe. Ansonsten gibt es sehr viele Parallelen zu unserem Stil in London, die Qualitätsansprüche, die Leidenschaft, die Seele, die Detailversessenheit und die Liebe zum Beruf sind immer gleich.
Pierre Gagnaire hat Sie nach London geholt und Ihre Arbeit immer sehr geschätzt. Hat er Sie bereits in Tirol besucht?
Pierre Gagnaire war noch nicht in Hall in Tirol. Wir werden im Oktober aber gemeinsam Salzburg besuchen – und sollten wir Zeit haben, dann werden wir sicher nach Hall fahren. Ich habe ihn vor circa drei Wochen in Paris besucht. Wir sind in gutem Kontakt.
Sollte er nach Hall kommen – was würden Sie ihm abseits Ihrer neuen Wirkungsstätte zeigen?
Ich glaube, wir würden nicht genug Zeit haben für ein großartiges Programm. Und so, wie ich den Chef kenne, würde er der Menschen wegen nach Hall kommen. Deshalb würden wir wahrscheinlich auf der Terrasse oder einer Almhütte sitzen, gut essen und ein Glas Wein trinken, über alte Zeiten sprechen – und dabei die Pracht der Tiroler Berge genießen.
Sie haben den Schwarzen Adler gemeinsam mit Ihrer Familie umgebaut. Auch wenn Sie erst Anfang 30 sind – sind Sie gekommen, um zu bleiben bzw. was müsste passieren, dass Sie noch einmal den Sprung ins Ausland wagen?
Wir wollen auf jeden Fall einen Lebensmittelpunkt und Standort hier aufbauen. Man weiß nie, was im Leben passiert, deshalb möchte ich nichts ausschließen. Aber: Es gibt ja einige Köche, die einen abgeschiedenen Standort haben, und trotzdem international tätig sind…