In keinem anderen Südtiroler Weinbaugebiet herrscht dieser Tage so viel Aufbruchstimmung wie hier unterhalb des Ritten vor den Toren der Landeshauptstadt Bozen. Wo anderswo der Vernatsch, die wichtigste Komponente des St. Magdaleners, die mit neunzig Prozent auch den Löwenanteil dieses „Hausweins“ der Bozener ausmacht, als altmodisch verpönt und gerodet wird, dreht man hier nahezu in jedem Weingut ganz eindeutig an der Qualitätsschraube.
Noch nicht ganz vergessen ist die Zeit, als man den St. Magdalener in einem Atemzug mit Barolo und Brunello nannte und diese italienweit einzigartige wie unverwechselbare Rotwein-Komposition nicht nur das beliebteste Getränk der Bozener, sondern auch internationales Aushängeschild der Weinkultur des ganzen Landes war. Ungemein stoffig dichte Konzeptweine nach dem Vorbild Bordeaux machten in den 1980er-Jahren von der Maremma bis ins Südtiroler Unterland von sich reden und ließen dabei den altgedienten St. Magdalener, manchmal auch aufgrund von Höchsterträgen nicht ganz zu Unrecht, etwas blass ausschauen.
Natürlich gab es immer schon große Klassik gepaart mit höchstem Quallitätsstreben, wie das jahrzehntealte Raritäten von Stefan Ramoser am Fliederhof noch heute kraftvoll belegen. Auch auf Franz Gojer vom Glögglhof war immer mehr als Verlass, Stephan Filippis „Huck am Bach“ war ebenfalls eine Bank und Johannes Pfeifer vom Pfannenstielhof sowie Josephus Mayr vom Erbhof Unterganzner wussten auch mit großartigen Weinen aus den tiefsten Lagen des Anbaugebietes durchgängig zu überzeugen.
Doch gebührt Christian Plattner vom schönen Ansitz Waldgries der Respekt, dass er Anfang der 2000er-Jahre mit der Wiederanpflanzung alter Vernatsch-Klone den richtigen Impuls zur rechten Zeit für sich und seine Nachbarn vorausschauend gesetzt hat. Das Etikett seines „Antheos“ schmückt die Waldgries-Turmuhr mit dem Zeiger auf fünf vor zwölf.
Dieser Impuls wurde gut verstanden und so dauerte es nicht lange, dass auch andere Betriebe mit speziellen St.-Magdalener-Editionen folgten, wie der Schloterpöck vom Kandlerhof oder auch der GranMarie am Fliederhof, um nur zwei davon zu nennen.
Die Böden um Sankt Magdalena bestehen aus verwittertem Bozner Porphyr und sandigem Glazialschotter. Der Vernatsch, der auf diesem Boden gedeiht, hat eine ausgeprägt rotbeerige Frucht, unterlegt mit einer feinen Würze.
Die klimatischen Standortunterschiede, die so oft einen wesentlichen Teil der Wein- Charakteristik verursachen, sind bei einer Ausdehnung des klassischen St.-Magdalener-Gebietes auf einer Länge von etwas mehr als sechs Kilometern mit vorherrschender Südexposition der Weinhänge nur geringfügig. Ganz ideal ist auch die Steilheit des Geländes, was wiederum durch den steilen Einfallswinkel der Sonnenstrahlen eine hervorragende Bodenerwärmung mit sich bringt. So handelt es sich rund um das Dorf St. Magdalena um das wärmste und mit jährlich deutlich über zweitausend Stunden Sonnenscheindauer auch um das sonnenreichste Weinbaugebiet Südtirols. Diese lange Sonnenscheindauer ergibt sich durch die große Entfernung zum Mendelgebirge, das am Nachmittag die einzige Horizonteinschränkung darstellt.
Durch seine ganz besondere Würznote unverwechselbar wie der St.-Magdalener-Wein ist auch die Südtiroler Küche, ganz besonders in ihrem Umgang mit exotischen Gewürzen, die – wie etwa der Zimt – viele Rezepturen von Südtiroler Fleischgerichten und Wurstspezialitäten prägen. Diese von der nahezu unbändig kraftvollen Rebsorte Lagrein herrührende Würze, die nie mehr als zehn Prozent der von Gut zu Gut variierenden St. Magdalener „Geheimrezeptur“ bestimmt, macht diesen Wein zu einem geradezu idealen Begleiter von exotischen oder asiatisch inspirierten Gerichten. Die sanft samtigen Gerbstoffe der Haupt-Rebsorte Vernatsch sind dabei die wunderbare Voraussetzung, diesen hellen Rotwein gekühlt zu Vorspeisen oder eben auch als gesprächsbegleitenden Aperitif zu genießen. Diese in ganz Italien einzigartige leichte Rotwein-Spezialität ist also nicht nur als Klassiker zu Schüttelbrot, Kaminwurzen und Bauernspeck auf den umliegenden Almhütten, sondern auch in den eleganten Vinotheken und Restaurants zu jungen Küchenklassikern bestens kombinierbar. Eine wohltuende Alternative zu den immer höher konzentrierten und alkoholreichen Spitzenrotweinen, die leider für fein komponierte Kompositionen der jungen Avantgarde-Küche oft zu viel des Guten und geschmacklich eher erschlagend sind.
TEXT Otto Geisel / FOTO IDM Südtirol Alto Adige / Flan