Léa Linster im Gespräch über den Bocuse d’Or und die deutschen Aussichten auf den Titel
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TEXT & INTERVIEW Nick Pulina | FOTOS MARC THEIS ART PHOTOGRAPHY, Wange Bergmann
Er gilt als die Weltmeisterschaft des Kochens: der Bocuse d’Or. Welches Kochtalent Deutschland dabei auf der nächsthöheren Ebene vertreten darf, wurde vor zwei Wochen im Rahmen eines spektakulären Events im Frankfurter Gesellschaftshaus Palmengarten ermittelt. Die Wahl der zwanzigköpfigen Fachjury, bestehend aus namhaften Spitzenköchinnen und -köchen wie Matthias Hahn, Julia Komp und René Frank, fiel schließlich auf Marvin Böhm. Der Souschef von Sven Elverfeld im Wolfsburger Fünf-Hauben-Restaurant Aqua gewann bereits zum dritten Mal die deutsche Vorrunde. Gemeinsam mit seinem Commis Hannes Hensel konnte er erneut mit seinen Gerichten, jeweils 14 Portionen eines Gemüse- und eines Fleischgangs, auf ganzer Linie überzeugen. Wir sprechen mit Jurypräsidentin und Haubenköchin Léa Linster über den Wettbewerb, ihre ganz persönliche Verbindung zum Bocuse d’Or und die Frage, warum man sich als Koch diesen ganzen Stress überhaupt freiwillig antut.
Frau Linster, was ist überhaupt der Bocuse d’Or?
Der Bocuse d’Or ist der größte kulinarische Wettbewerb der Welt. Paul Bocuse selbst hat ihn 1987 ins Leben gerufen. Das Finale findet alle zwei Jahre in Lyon statt. Dazwischen werden die Vorrunden abgehalten, zunächst eine nationale und anschließend eine kontinentale. In der Endrunde treten dann die 25 Köchinnen und Köche gegeneinander an, die sich in den vorigen Runden durchsetzen konnten. Der europäische Vorentscheid findet im März in Trondheim statt.
Was verbindet Sie mit dieser Auszeichnung?
Ich habe sie 1989 gewonnen, als erste Frau. Seitdem bin ich auch die Einzige geblieben. Damals waren alle erst mal geschockt, dass ich gewonnen habe. Die ganzen Männer wussten überhaupt nichts mit mir anzufangen. Aber Gott sei Dank konnte ich mich schon immer gut um mich selber kümmern (lacht). Paul Bocuse hat sich allerdings sehr gefreut. Es hat ihm imponiert, wie umtriebig ich war. Und mir als Luxemburgerin fiel es natürlich auch vergleichsweise leicht, mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen. Wir wachsen ja in der Regel mindestens dreisprachig auf, sodass ich mit den meisten kommunizieren konnte. Leider wurde mir mein Bocuse d’Or vor einigen Jahren bei einem Einbruch gestohlen.
Was war Ihre Aufgabe beim diesjährigen deutschen Vorentscheid in Frankfurt?
Ich war die Präsidentin der Jury. Gemeinsam mit Régis Marcon, dem Ehrenpräsidenten des Bocuse d’Or, und meinen zwanzig Kolleginnen und Kollegen musste ich unter den vier Kandidaten denjenigen ermitteln, der das größte Potenzial hat, Deutschland auf internationaler Ebene zu repräsentieren.
Bereits zum dritten Mal war es Marvin Böhm, der am meisten überzeugen konnte. Was möchten Sie ihm für Trondheim mit auf den Weg geben?
Die Gerichte, die uns Marvin Böhm und sein Commis Hannes Hensel serviert haben…
…eine gefüllte Annabelle-Kartoffel mit Wachtelei und Frankfurter Grüne Soße, Zuckerschote und Misocreme als Gemüsegericht sowie ein mit Hummer gefülltes Rinderfilet mit schwarzem Knoblauch und Hummer-Kalbsjus als Fleischgericht…
…waren hervorragend und handwerklich erstklassig zubereitet. Zwar sind mir persönlich alle vier Köche ein bisschen zu sehr in der Spur geblieben, aber es ist verständlich, dass man bei einem solchen Wettbewerb so kochen will, dass man die vermeintlichen Erwartungen der Jury erfüllt. Dabei sollte man allerdings seinen eigenen Stil nicht vergessen und darf ruhig etwas Mut zur Revolution haben. Dann steht Lyon nichts mehr im Wege!
Und noch etwas liegt mir sehr am Herzen liegt, das sich nicht nur an die Bocuse d’Or-Kandidaten richtet, sondern an die gesamte Spitzengastronomie: Wir müssen aufhören, Convenience-Produkte zu verwenden. Wir alle repräsentieren mit unserer Arbeit auch unser Land und unsere Esskultur, egal ob bei einem Wettbewerb oder im täglichen Geschäft. Ich verstehe sehr gut, dass ein kleines Alltagsrestaurant auf die Industrie angewiesen ist, aber zumindest wir in der gehobenen Gastronomie sollten damit aufhören. Wir können uns nicht auf der einen Seite über die fortschreitende Industrialisierung der Lebensmittelindustrie beschweren und dann selbst Wasser auf die Mühlen gießen. Das wäre doch eine tolle Botschaft, die wir beim Bocuse d’Or unterstreichen könnten.
Lohnt es sich für junge Köchinnen und Köche überhaupt, sich dem Stress eines solchen Wettbewerbs auszusetzen?
Den meisten Stress macht man sich selbst. Natürlich muss man gut vorbereitet sein und zeigen, was man drauf hat. Aber im Grunde ist das ja auch nicht viel anders als im Tagesgeschäft eines Spitzenrestaurants. Und was man als junger Koch aus so einem Wettbewerb mitnehmen kann, ist unbezahlbar.
Was zum Beispiel?
Es ist eine fantastische Gelegenheit, um sich selbst im Kontext der anderen zu sehen und einordnen zu können. Die Teilnahme an einem solchen Event erweitert den Erfahrungshorizont ungemein, man lernt so viel. Dafür muss man auch gar nicht unbedingt gewinnen. Ich weiß noch, wie ich 1989 noch während des Kochens gedacht habe: Im Grunde hast du ja schon gewonnen, sonst würdest du ja gar nicht hier stehen.
Und seien wir ehrlich: Einem bemerkenswerten Commis oder Koch flattert nach einem guten Ergebnis sicherlich noch das eine oder andere interessante Angebot in den Briefkasten. Der Karriere kann das jedenfalls nicht schaden. Unser Beruf ist schwierig, aber wunderschön. Man sollte ihn nicht fürchten, sondern für sich nutzen. Ohnehin schätze ich es sehr, wenn mal wieder jemand einen Beruf wirklich erlernen und nicht nur jobben will.
Haben Sie eigentlich einen Ersatz für Ihre gestohlene Statue bekommen?
Nein, leider noch nicht. Ich muss mal schauen, ob mir jemand seine Bronze-Auszeichnung abgibt, da hängt man ja nicht so sehr dran (lacht). Meine Statue stammte eben auch noch aus der alten Pressung des Bildhauers César. In dieser Form bekomme ich die heute leider nicht mehr ersetzt. Mittlerweile stellt die Trophäe ja Paul Bocuse selbst dar.