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TEXT Nick Pulina | FOTOS JRE Genusslabor 2.0
Nicht erst seit Carl-Maria von Weber, der mit seinem „Freischütz“ die wahrscheinlich treffendste Vertonung dieses Ökosystems geliefert hat, ist der Wald eng mit unserer hiesigen Kultur verbunden. Wir machen Urlaub in bewaldeten (und extra danach benannten) Mittelgebirgen, suchen Entspannung im Grünen und können uns ohne selbst gesammelte Pilze keinen echten Herbst vorstellen. Doch zu keiner Zeit im Jahr sind unsere Wälder praller gefüllt mit aromatischen Gewächsen aller Art als jetzt im Frühjahr. Mit dem, was dort so munter am Wegesrand sprießt, können jedoch selbst passionierte Spaziergänger und Naturfreundinnen oftmals nicht allzu viel anfangen. Wann haben Sie zuletzt mit Gundermann, Wasserkessel, Spitzwegerich, Knöterich oder Wiesenschaumkraut gekocht?
Dass viele der Pflanzen längst nicht nur schön aussehen, sondern bedenkenlos verzehrt werden und dabei sogar ganz neue Geschmackswelten eröffnen können, ist meist nicht einmal denjenigen bekannt, deren Tagewerk genau darin besteht. Köchinnen und Köche, die ihren Gästen mit erstklassigen Produkten einmalige Genusserlebnisse ermöglichen wollen, greifen nicht selten auf Lebensmittel zurück, die von ihrem Erzeuger bis ins Restaurant einen langen Weg zurückzulegen hatten. Dabei liegt das Gute doch so nah.
Das denken sich auch die Jeunes Restaurateurs Deutschland, ein Zusammenschluss von knapp 70 jungen Köchinnen und Köchen in leitenden Positionen. Eine kleine Delegation der Vereinigung, zu deren Zielen die nachhaltige Weiterentwicklung der Spitzenküche, ein lebendiger Austausch über moderne, zeitgemäße Arbeitsweisen und nicht zuletzt auch die Nachwuchsförderung gehören, traf sich unlängst im Fränkischen Wirsberg zu einer ganz besonderen Veranstaltung. Hier war es an Jason Grom, Harald Rüssel, Alexander Wulf und Maurizio Oster, sich einer Herausforderung zu stellen, wie sie sie in ihrem Küchenalltag so nie erleben.
„Das JRE Genusslabor 2.0 bedeutet für mich grenzenloser Austausch“, sagt Tobias Bätz, Executive Chef im Restaurant Alexander Hermann by Tobias Bätz, Mitglied der JRE und Initiator der Veranstaltung. „Wenn wir mal aus unserem Alltag in der Küche ausbrechen können und gemeinsam mit anderen Menschen unbekannte Produkte ausprobieren und voneinander lernen, dann haben wir die Möglichkeit, kreative Prozesse in Gang zu setzen und neue Ideen mit nach Hause zu nehmen. Im Genusslabor 2.0 passiert das vor allem im Einklang mit der Natur – und die Ergebnisse, die die Köchinnen und Köche auf die Teller gezaubert haben, zeigen einmal mehr, was die Jeunes Restaurateurs ausmacht: Die Leidenschaft fürs Kochen und die innovative Weiterentwicklung der Kochkunst.“
Im Rahmen des Genusslabors hatte Bätz acht Köchinnen und Köche zu einer besonderen Challenge geladen: Die vier JRE-Kollegen sowie vier durch die Medien bekannte Kochtalente (Graciela Cucchiara, Robert Brosowski alias „CrispyRob“, Victoria Fonseka und Diana Burkel) sollten in Zweierteams zusammenkommen und ohne große Vorbereitungs- oder Planungszeit gemeinsam ein Fünf-Gänge-Menü kochen. Jedes Team bekam dabei einen Gang zugeteilt, am Dessert wurde gemeinsam gearbeitet. „Tobias’ Idee war es, uns aus der Komfortzone herauszuholen“, sagt Maurizio Oster, Chefkoch seines Restaurants Zeik in Hamburg. „Wir sollten aus unseren Restaurants rauskommen, erprobte Techniken und Gewohnheiten für eine kurze Zeit zurücklassen und gemeinsam mit einer Person, die nicht im Gourmetbereich tätig ist, Neues ausprobieren, etwas wagen.“
Und neben dem Einkaufen auf dem gleichzeitig stattfindenden Genussmarkt, zu dessen Aussteller einige der besten Erzeuger Deutschland gehörten, beinhaltete dies auch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Wald als Lieferant für saisonale und natürlich lokale Produkte. Geführt von ‚Rusticus‘ Chris Bumann, einem ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet, ging es für die Teilnehmenden auf eine kulinarische Tour durch den Forst. Maurizio Oster und Teammitglied Victoria Fonseka, Zweitplatzierte in der Jubiläumsstaffel der Sat.1-Kochsendung ‚The Taste‘, begaben sich direkt auf Inspirations- und Produktsuche für die ihnen zugeteilte Vorspeise:
„Das war schon eine abgefahrene Erfahrung“, so Fonseka. „Chris war eine echte Bereicherung für uns. Im Wald Wildkräuter zu sammeln war immerhin Neuland für fast alle. Er hat uns herumgeführt, uns viele Pflanzen gezeigt, ständig etwas probiert und immer wieder Denkanstöße gegeben. So hatten wir trotzdem noch alle Freiheit, uns selbst zu überlegen, was wir daraus machen wollen.“ Entstanden ist so der Gang „Bio-Ei, Waldrauch, Senfkohl, Begonien“, in dem neben den genannten auch Taubnesseln, Birkenrinde und Fichtentriebe zum Einsatz kamen.
Für Fonseka steht fest, dass sie als ohnehin naturbegeisterte Person das Gelernte nun häufiger in ihre eigene, schon jetzt sehr produktorientierte Küche aufnehmen will. Und auch Oster, der sich schon zuvor intensiver mit dem kulinarischen Potenzial von Wildkräutern beschäftigt hatte, ist sichtlich angetan: „Ich habe mich wieder einmal daran erinnert, dass man immer die Augen offenhalten sollte, wenn man durch den Wald oder auch sonst durch die Natur geht. Jede Jahreszeit bringt ihre Produkte mit. Was ich wirklich absolut liebe – und das passiert mir jedes Jahr, ohne dass ich es plane – ist der Moment, wenn ich herumlaufe und irgendwo Holunder rieche, bevor ich ihn überhaupt sehe. Dann denke ich mir, ja Mensch, es ist Holunderzeit! Und von diesen Erlebnissen könnte es noch so viel mehr geben.“
Allen Privatpersonen, die sich genauer mit dem Thema befassen wollen, gibt Oster allerdings noch einen wichtigen Rat an die Hand: „Viele machen nicht den Schritt weiter in den Wald hinein. Meist wird nur dort gesammelt, wo ohnehin alle langgehen. Das sieht dann schnell sehr gerupft aus und ist auch einfach nicht gut für die Natur. Es lohnt sich, ein bisschen tiefer vorzudringen. Da findet man meistens ohnehin mehr und fügt gleichzeitig der Natur keinen Schaden zu.“
Damit schlussendlich nichts aufgelesen wird, was auch einem selbst nicht schadet, empfiehlt der Spitzenkoch, sich vorher gründlich darüber zu informieren, wohin man geht und was dort möglicherweise wachsen könnte. „Aber“, so mein Oster, „in vielen Fällen gilt: Vertrauen Sie Ihrem Mund. Und wenn etwas bitter schmeckt, isst man es besser nicht.“