Apollo-Falter contra Weinbau in Steilstlagen

Weingüter an der Terrassenmodel fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz

Jetzt teilen

TEXT Anke Kronemeyer | FOTOS Moselwein e.V.& / Erwin Siebenborn / Ansgar Schmitz / Stephan Mahlow

Achtmal im Jahr, jeweils ab Mai, setzen Moselwinzer in den besonders steilen Lagen zum Beispiel am Bremmer Calmont Hubschrauber ein, um Pflanzenschutzmittel auszubringen. Und genau das soll ihnen ab sofort verboten werden. Der Grund: In diesen Weinbergen lebt ein seltener Schmetterling, genannt Apollo-Falter. Der Streit ist kurz vor Weihnachten entfacht, als die Winzer eigentlich nur ganz zufällig vom geplanten Verbot der Hubschrauberflüge im neuen Jahr gehört haben. Sie fürchten jetzt um ihre Existenz.  

Der Apollo-Falter, vor einigen Wochen erst zum „Schmetterling des Jahres“ gekürt, lebt schon seit vielen Jahren in den Mosel-Weinbergen. Seine Population ist variabel. Mal entdecken Winzer, Spaziergänger und Naturschützer ganz viele, im nächsten Jahr wieder nur rund 100 der auffällig gemusterten Falter. Dass dieser Schmetterling schützenswert ist, sehen alle ein. Aber Winzer und Naturschützer stehen sich jetzt trotzdem unerbittlich gegenüber.

Hintergrund ist die aktuelle Einschätzung einer Gruppe von Schmetterlingsfreunden – genauer der Arbeitsgemeinschaft Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen e.V. (ARL): Sie sagt, dass es genau die Pflanzenschutzmittel seien, die den Schmetterling bedrohen. Das Umweltbundesamt kündigt daraufhin an, diese Flüge schon im neuen Jahr zu verbieten. Das schaffen wir nicht, sagen Winzer wie Kilian Franzen aus Bremm oder Reinhard Löwenstein aus Winningen. Wenn sie nicht mehr fliegen und sprühen dürften, könnten sie die Weinberge aufgeben. „Dann ist unsere Existenz gefährdet.“ Kilian Franzen: „Das wäre der Untergang der Terrassenlagen, die zu den wertvollsten Kulturlandschaften Europas zählen.“  Drohnenflüge könnten eine Alternative sein, nur die können nicht so schnell eingesetzt werden, dass sie schon im neuen Jahr die Pflanzenschutzmittel auftragen. Das braucht vor allem technischen Vorlauf, sagen Experten und bitten darum, das Hubschrauber-Verbot noch nicht in 2024 gelten zu lassen. Dann habe man Zeit, Drohnenpiloten auszubilden und Gerätschaften zu organisieren. „Ein Drohneneinsatz anstelle des Hubschraubers wird auch von der Winzerschaft befürwortet und angestrebt, doch die vom Umweltbundesamtes geforderte kurzfristige Umstellung gestaltet sich aufgrund zahlreicher technischer, personeller und genehmigungsrechtlicher Problemstellungen als unmöglich“, heißt es in einem Brief des Weinbauverbandes Mosel.

„Ein Verbot der Hubschraubereinsätze würde das Aus für den Weinbau in den betreffenden Lagen bedeuten – mit der Folge, dass die Hänge verwildern und verbuschen, die Mauern mit der Zeit einstürzen und vielen Pflanzen, Insekten und Tieren von der Mauereidechse bis zur Zippammer wichtiger Lebensraum genommen würde“, sagt auch Ansgar Schmitz vom Verein Moselwein. Durch ein Verbot der Hubschraubereinsätze käme es laut Schmitz zu weiteren Flächenstilllegungen. Es wäre wohl auch das Ende für Höhepunkte der deutschen Weinkultur wie die jahrhundertealten Weinbergsterrassen in Winningen und den steilsten Weinberg der Welt, den Calmont. Die Folgen für den Tourismus wären ebenfalls fatal, sagt der Geschäftsführer des Moselwein-Vereins mit Sitz in Trier.

Dass die Pestizide die Gefahr für den Apollo-Falter sein sollen, glaubt Winzer Kilian Franzen aus Bremm nicht. Er sagt: „Das Gegenteil ist der Fall: Ohne Pestizide gibt es keinen Weinbau und ohne Weinbau keinen Apollo-Falter. Nur durch fachgerechten Einsatz von Pestiziden per Hubschrauber sowie den Verzicht auf Insektizide konnte der Terrassenweinbau erhalten bleiben und die Apollo-Population seit den 1970er Jahren anwachsen. Die Mittel wurden immer spezifischer und in geringeren Mengen ausgebracht, zusätzlich wird seit den 1990er Jahren die Hubschrauberspritzung in den frühen Morgenstunden und damit außerhalb der Flugzeiten des Apollofalters durchgeführt. Ein Ende des Pflanzenschutzes in den Terrassenlagen bedeutet auch ein Ende des Apollofalters. Denn ohne Pflanzenschutzmittel gegen Mehltaupilze gibt es in den Terrassen keinen wirtschaftlichen Weinbau und die betreffenden Weinberge werden aufgegeben.“ Er zitiert außerdem Naturwissenschaftler Dr. Detlef Mader, der 2021 in einer Studie den Rückgang des Falters untersucht habe. Darin weise Mader vor allem darauf hin, dass ein steiler Absturz des Falters von 2011 auf 2012 nur durch ein extremes Ereignis verursacht gewesen sein kann. Wo 2011 noch etwa 1000 bis 1500 Exemplare gezählt wurden, waren es 2012 gerade mal 150 bis 300 Schmetterlinge. Mader begründete diesen Abstieg mit der arktischen Dauerfrostperiode mit zweistelligen Minusgraden im Februar 2012. Die „Vergiftung“ durch Pestizide würde allenfalls einen schleichenden oder graduellen Rückgang erklären, nicht jedoch den dramatischen Kollaps.

Jetzt drängt die Zeit – das sagt auch Dr. Maximilian Hendgen, Geschäftsführer des Weinbauverbandes Mosel, in seiner Stellungnahme. „Für rund 60 Hektar historische Weinbaulandschaften zwischen Winningen und Bremm (darunter zwei „Leuchtpunkte der Artenvielfalt“, ein „Höhepunkt der Weinkultur“ und der steilste Weinberg Europas) ist der Pflanzenschutz für 2024 und die Folgejahre derzeit ungeklärt.“ Ab Januar müssten jedoch die Vorbereitungen und Genehmigungsverfahren anlaufen, um bis Mai einsatzfähig sein zu können, so Hendgen. Rasche Planungssicherheit würden auch die Anbieter der Hubschrauberspritzung benötigen, um entscheiden zu können, was an Maschinen und Personal für die Saison 2024 vorgehalten wird. Ansonsten drohe schon 2024 ein kompletter Ausfall jeglicher Applikation aus der Luft in den genannten Gebieten.

Aktueller Stand Anfang Januar: „Es warten jetzt tatsächlich alle auf die Zulassungsentscheidung für 2024“, so Hendgen.

Lesen Sie auch: Gault&Millau Next Generation – Die jungen Weintalente Deutschlands: Johannes Gröhl im exklusiven Interview

Ähnliche Artikel