Liebe Leserin, lieber Leser,
vor knapp zwei Monaten erschien der erste Gault&Millau-Genussguide für Südtirol. Darin stellen wir Ihnen nicht nur die kulinarischen Highlights, außergewöhnlichsten Hotels und spannendsten Weingüter vor, sondern prämieren auch die wichtigsten gastronomischen Persönlichkeiten der Region. So auch Anna Matscher, die für ihre herausragenden Leistungen im familiengeführten Restaurant Zum Löwen in Tisens als Südtiroler Köchin des Jahres 2021/2022 ausgezeichnet wurde.
Im exklusiven Interview mit Gault&Millau gibt sie einen Einblick in ihre persönliche Arbeitsweise und die nachhaltige Philosophie dahinter, reflektiert die Entwicklung zu mehr Weiblichkeit in der Spitzengastronomie und verrät Ihnen, wie Sie sich ein Stückchen Südtirol in die eigene Küche zaubern können.
G&M: Frau Matscher, herzlichen Glückwunsch zur Gault&Millau-Auszeichnung als Südtiroler Köchin des Jahres! Wie haben Sie reagiert, als sie davon erfahren haben?
Anna Matscher: Es war für mich natürlich eine sehr große Überraschung und Freude. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet.
Sie haben es als Autodidaktin geschafft, eine der höchstdekorierten Köchinnen Italiens zu werden. Haben Sie jemals daran gezweifelt, ob Sie ohne Kochausbildung überhaupt in der gastronomischen Welt bestehen können?
Als Autodidaktin zweifele ich eigentlich immer noch (lacht). Im Hinterkopf frage ich mich nach wie vor, ob ich gerade etwas richtig oder falsch mache. Mir bleibt das irgendwie anhaften, aber das muss ja nicht unbedingt etwas Negatives sein. Es spornt mich immer wieder an, noch besser zu werden.
Welchen Rat würden Sie aus heutiger Sicht gern Ihrem früheren Ich mit auf den Weg geben?
Wahrscheinlich würde ich sagen: „Anna, du hast es geschafft!“. Ich arbeite immer aus dem Bauch heraus und habe mir dadurch alles selbst erarbeitet, daran würde ich nichts ändern wollen.
In Ihrem Restaurant Zum Löwen in Tisens verwöhnen Sie die Gäste mit einzigartigen Kreationen, aus denen allesamt Ihr ganz persönlicher Stil spricht: feingliedrig – elegant – feminin. Wie würden Sie Ihre kulinarische Handschrift selbst beschreiben?
Für mich ist die Leichtigkeit besonders wichtig. Der Gast soll nach einem Essen bei uns das Gefühl haben, er könnte jetzt noch einmal ein Menü essen, weil es so luftig-leicht war. Das ist mir auch selbst bei Restaurantbesuchen sehr wichtig. Wenn ich das erreichen kann, bin ich zufrieden.
Meinen Sie, dass es so etwas wie einen ‚femininen Kochstil‘ überhaupt gibt?
Zum Teil gibt es den sicherlich. Eine Frau denkt, besonders wenn sie auch Mutter ist, da vielleicht ein bisschen anders als ein Mann. Das Essen muss immer möglichst verträglich sein, gesund und vor allem ganz frisch. Aus diesem Grund wird man in meiner Küche auch nur wenige vorgefertigte Sachen finden, weder Schäumchen noch Produkte, die halbfertig ein paar Tage lang irgendwo liegen müssen. Bekömmlichkeit ist für mich mit das wichtigste und ich könnte mir vorstellen, dass eine Frau darüber eher nachdenkt und etwas vorsichtiger ist.
Mittlerweile existieren zahlreiche erfolgreiche Spitzenköchinnen auf der Welt, aber dennoch sind sie im Vergleich massiv in der Unterzahl. Sind Sie zufrieden mit dem aktuellen Fortschritt?
Es ist ja nun so, dass die meisten Frauen nicht einfach in der Früh aufstehen und zur Arbeit fahren. Oftmals müssen sie erst alles koordinieren, sich um die Unterbringung und Verpflegung der Kinder und zusätzlich noch die organisatorischen Aufgaben einer Wohnung kümmern. Das ist vielleicht der grundlegende Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau im Beruf.
Würden Sie es sich denn wünschen, dass es mehr Spitzenköchinnen gäbe?
Ja, es wäre natürlich sehr schön, wenn sich mehr Frauen trauen würden. Wir sind ja keineswegs weniger qualifiziert! Ich denke allerdings, wir haben immer diesen Zweifel, ob wir all das unter einen Hut bringen und koordinieren können. Da kommt schon einiges auf einen zu.
Sie haben zusätzlich zu den regulären auch ein rein vegetarisches Menü auf der Karte. Ist dies der Nachfrage geschuldet oder gab es auch andere Gründe dafür?
Dabei gehe ich immer von mir selbst aus. Ich persönlich esse sehr gerne Gemüsegerichte und dadurch, dass an den vegetarischen Speisen zunehmend gearbeitet wird, entstehen ganz wundervolle Kreationen. Man bekommt endlich auch etwas anderes als immer nur gegrilltes Gemüse. Es gibt auch viele Gäste, die keine Vegetarier sind und trotzdem gerne ein fleischloses Menü essen. Leider ist es außerhalb der höheren Gastronomie noch nicht so leicht, wirklich gutes vegetarisches Essen zu finden. Da wird oftmals einfach etwas weggelassen und man bekommt dann so ein Verlegenheitsgericht. Das ist schade.
Die Welt ist aktuell im Umbruch. Nachhaltigkeit und verantwortungsvoller Umgang mit Lebensmitteln rücken mehr denn je in den Fokus unseres Alltags. Können Sie abschätzen, welchen Einfluss diese Entwicklung auf Ihre Küche hat?
Ich mache das eigentlich schon immer so und versuche, die meisten meiner Produkte von lokalen Erzeugern zu bekommen. Regionalität gehörte von Anfang an zu mir und zu meinem Küchenstil. Wildkräuter, Tomaten, Eier und viele andere Lebensmittel beziehe ich von zahlreichen Produzenten aus der Region. Zusätzlich habe ich auch schon immer hobbymäßig einen großen Garten, in dem ich sehr viel Zeit verbringe, Kräuter anbaue und zum Teil sogar Gemüse selbst ziehe. Mit dem Fisch ist es hier in Südtirol ein bisschen schwierig, allerdings bekomme ich mein Fleisch seit 35 Jahren von demselben Metzger, der mich mit einheimischen Produkten aus größtenteils biologischer Zucht versorgt. Regionalität ist gerade heutzutage besonders wichtig. Vielleicht hilft diese Pandemie auch ein bisschen dabei, dass die Leute qualitätsbewusster zu werden – wenn auch aus der Not heraus.
Auch die Südtiroler Küche durchläuft einen Wandel, wird weltoffener und moderner. Wie sehen Sie diesen Prozess? Wohin wird sich Südtirol in den nächsten Jahren kulinarisch bewegen?
Südtirol ist ja inzwischen schon auf einem sehr guten Niveau angekommen. Man kann mittlerweile von der Almhütte bis hinunter ins Tal in allen möglichen Schienen – vom Gasthaus übers Bistro bis hin zur Spitzenküche – wunderbar essen. Es gibt viele besondere Produzenten, die immer wieder neue Leckereien anbieten und unsere lokalen Spezialitäten wie Wildfleisch oder Lamm in bester Qualität bereitstellen. Die nächsten zwei drei Jahre werden wegen der Folgen des Lockdowns sicherlich noch hart werden, aber ich denke, dass die gute Entwicklung in Südtirol danach immer weiter vertieft und vorangetrieben wird.
Welches Gericht sollten unsere Leserinnen und Leser kochen, wenn Sie sich ein bisschen Südtiroler Lebensgefühl in die heimische Küche holen wollen?
Südtirol wird natürlich immer eng mit dem Knödel verbunden, damit sollte das kein Problem sein. Auch Apfel- oder Marillen-Gerichte bieten dafür tolle Möglichkeiten.
Das Interview führte Nick Pulina.
Foto: Anna Matscher
Instagram @restaurantzumloewen