„Die Sympathie für die Quitte war schon immer da“

Die besten Erzeuger Deutschlands: Das Quittenprojekt Bergstraße

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TEXT Nick Pulina | FOTOS Quittenprojekt Bergstraße

Goldgelb, mal apfel-, mal birnenförmig und immer intensiv aromatisch: Kaum ein Obst steht hierzulande mehr für den Herbstanfang als die Quitte. Dass der Umgang mit ihr von Jahr zu Jahr immer reservierter wird, scheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wird sie doch oftmals erst nach aufwendiger Verarbeitung wirklich zum Genuss. Die Folge: Der Bestand an Quittenbäumen in Deutschland geht mehr und mehr zurück, worunter vor allem ihre Sortenvielfalt leidet. Rainer Stadler und Ellen Müller stellen sich diesem Abwärtstrend entschieden entgegen und verschreiben sich voll und ganz der gelben Frucht. Mit ihrem Quittenprojekt Bergstraße leisten sie Außergewöhnliches, sammeln und konservieren nicht nur unzählige Quittensorten, sondern stellen aus ihren Früchten ein vielseitiges Sortiment an Feinkostprodukten her, das auch über die Grenzen Nordbadens hinaus großes Ansehen genießt. Für uns gehören sie deshalb fraglos zu den besten Erzeugern Deutschlands.

Bäume, Bäume, nichts als Bäume. Ganze 700 Quittenpflanzen rund 70 verschiedener Sorten wachsen auf und neben den Ländereien des Familiengrundstücks. Hinzu kommen weitere 200 Steuobstbäume sowie hie und da ein kleiner Stein- oder Reisighaufen als Versteck für Tiere unterschiedlichster Art. Als Rainer Stadler und seine Geschäftspartnerin Ellen Müller im Jahr 2009 den alten Landbesitz auf Vordermann bringen wollten, war der Plan ein anderer. Eine bunte Mischung aus Obstsorten sollte hier wachsen, zwar mit Quitten darunter, aber eben auch nur ein paar Bäume. Wer heute durch die zirka 40.000 QuadratmeterAnbaufläche flaniert, dem wird schnell auffallen, dass einiges anders gekommen ist.

Zwei Quittensorten hatten Müller und Stadler sich aus einem Nachschlagewerk ausgesucht, die sie fortan anbauen wollten. „Die haben uns in der Baumschule angeguckt, als hätten wir ein Rad ab“, beschreibt Stadler die ernüchternde Reaktion. Und egal in wie viele Baumschulen die beiden gehen, keiner kann ihnen so richtig weiterhelfen. Angeboten werden hauptsächlich die Konstantinopeler Apfelquitte und die Portugieser Birnenquitte, die meisten anderen Sorten scheinen verschollen. „Wir fanden das wahnsinnig schade. Die Quitte ist eine so spannende und historische Frucht. Sie taucht schon in der antiken griechischen Mythologie auf und wurde bereits von Hippokrates und Hildegard von Bingen als Heilpflanze genutzt. Die Bestürzung darüber, dass die Sortenvielfalt einer so mit unserer Kultur verbundenen Frucht zusehends verloren geht, war gewissermaßen unsere Initialzündung.“

Statt möglichst viele verschiedene Obstsorten anzubauen, legt das Duo den Fokus fortan rein auf die Quitte. Mithilfe des Internets gelingt es ihnen schon früh, rund 25 verschiedene Quittensorten zusammenzutragen und ihre Flächen damit zu bepflanzen. Aus einem gemeinsam mit dem Bundessortenamt gestarteten Projekt kommen weitere 40 hinzu. Um den entstandenen Platzmangel auszugleichen, dürfen Stadler und Müller auch Ausgleichs- und Ökokontoflächen der Stadt Weinheim und des Rhein-Neckar-Kreises als Anbauflächen nutzen. Das Quittenprojekt Bergstraße wächst und wächst – während Rainer Stadler, der wie Ellen Müller als Quereinsteiger in den Obstanbau gekommen ist, als leitender Angestellter zusätzlich eregelmäßige 50-Stunden-Wochen auf der Arbeit bewältigen muss. Die hohe Belastung schlägt sich nach bald darauf in einem Burnout-Syndrom nieder, in dessen Rehabilitationsphase sich Stadler schließlich entscheidet, das Quittenprojekt zu seinem Hauptberuf zu machen. Und es beginnt zu funktionieren.

„Mittlerweile haben wir den Betrieb so weit aufgebaut, dass er sich selbst trägt. Zwar können wir uns noch keine Unternehmergehälter auszahlen, aber wir legen auch nicht drauf, und können auch schon mal Investitionen tätigen. Momentan habe ich noch eine Zweitfirma, mit der ich das Geld für meinen Lebensunterhalt verdiene. Mittelfristig ist es aber schon der Plan, dass wir beide rein von den Quitten leben können.“

Allzu weit dürfte dieser Zustand nicht mehr entfernt sein, denn Kundenbindung stellt für das Quittenprojekt kein Problem dar. Die vielseitigen Produkte, die Müller und Stadler in ihrem Hofladen und Onlineshop anbieten, sind etwas ganz Besonderes und transformieren passionierte Genießer auf der Stelle zu Fans. Seien es die samtigen Brotaufstriche, die Würzpasten, die Essigzubereitungen oder die Kollektion an alkoholischen und alkoholfreien Getränken – man schmeckt die einzigartige Qualität und die Leidenschaft der beiden Erzeuger für ihren Rohstoff. Hier ist alles handgemacht und weitestgehend unbehandelt. Stadler macht zwar keinen Hehl daraus, dass er im äußersten Notfall einen Baum, vor allem, wenn er der einzige Vertreter seiner Sorte ist, mit chemischen Mitteln vor dem Pilztod bewahren würde – für das Sortenerhaltungsprojekt hat der Baum Vorrang vor der Frucht –, aber das ist eine absolute Seltenheit.

Die Delikatessen des Zwei-Personen-Betriebs können so zwar nicht in Biomärkten stehen, dafür allerdings in zahlreichen Naturkostläden. Wie geht das zusammen? Stadler sieht das ganz pragmatisch: „Wer bei uns einkauft oder im Handel auf eines unserer Produkte stößt, kennt uns in den allermeisten Fällen schon und weiß, wie wir arbeiten. Dafür brauchen wir gar kein Bio-Siegel oder Ähnliches. Dass wir uns für Artenschutz und Sortenvielfalt einsetzen, ein kompletter Handwerksbetrieb sind und die Qualität bei uns stets im Fokus steht, kommunizieren wir ganz offen, an die Weiterverkäufer und die Endverbraucher.“ Und schmecken kann man das sowieso.

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