Martin und Fritz Stiegler produzieren in Franken Haselnüsse auf höchstem Niveau – unter anderem für Brotaufstriche, Kekse und Lebkuchen. Zu Besuch auf einem besonderen Bauernhof, der sich ganz dem Nuss-Genuss verschrieben hat.
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TEXT Titus Arnu | FOTOS Fritz Beck
Dieser Duft! Es riecht nach Haselnüssen, Schokolade und Röstaromen. Wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, dass man in ein Märchenland geraten ist. Womöglich in einem Ort mit kleinen Fachwerkhäusern, hübschen Gärtchen, in dem Nuss-Nougat-Creme und Kekse an den Bäumen wachsen und die Dächer mit Lebkuchen gedeckt sind. Wenn man die Augen öffnet, sieht das exakt so aus: Fachwerk, Gärtchen, Nuss-Nougat-Creme, Kekse. Nur die Dächer sind nicht mit Lebkuchen gedeckt, sondern mit ganz normalen Ziegeln.
Der Ort, an dem es so himmlisch gut riecht, liegt nicht im Schlaraffenland, sondern in Franken, in der Nähe von Fürth. Der märchenhafte Duft kommt aus dem Hofladen von Martin Stiegler in Gonnersdorf und weht in köstlichen Schwaden über die Dorfstraße. Er dringt aus einem umfunktionierten Kaffeeröster, der Haselnüsse röstet. Später wird die Nussmasse mit Kakaobutter und Zucker zu Nuss-Nougat-Creme verrührt. Im Nebenraum bäckt eine Mitarbeiterin gerade Cantuccini. In der „Genussschmiede“ kann man außerdem Haselnusssalz, Haselnuss-Dinkelnudeln, Haselnuss-Gewürzbrot, Haselnusslikör, Haselnusseis, Haselnuss-Griebenschmalz und viele andere nussige Spezialitäten probieren.
Deutschland ist EU-weit der größte Importeur von Haselnüssen, die in Keksen, Kuchen und anderen Süßwaren verarbeitet werden. Etwa fünf Kilogramm Nüsse verzehren deutsche Konsumenten durchschnittlich pro Jahr, der Appetit auf hochwertige Haselnüsse steigt. Die besten kommen angeblich aus dem Piemont, Hauptlieferanten sind die Türkei, Chile und die USA. Etwa drei Viertel aller Haselnüsse insgesamt stammen von der Schwarzmeerküste. Doch die sich verändernden Klimabedingungen führen dazu, dass man auch nördlich der Alpen gut Haselnüsse anbauen kann. Martin Stieglers Vater Fritz fing 2006 damit an, testweise verschiedene Sorten pflanzen, nach fünf bis sechs Jahren hatte er die ersten kleinen Erträge, ein paar hundert Kilo nur. Als den Stieglers 2013 der Hof abbrannte, entschlossen sie sich, neu anzufangen und die traditionelle Landwirtschaft ganz auf die Haselnuss auszurichten. Mittlerweile produziert „Franken GeNuss“ acht Tonnen Haselnüsse pro Jahr. Das meiste davon wird direkt verarbeitet und ab Hof oder im Online-Shop verkauft.
Martin Stiegler hat den Betrieb inzwischen von seinem Vater übernommen und konsequent modernisiert. Er führt den Besucher über den Hof, den die Familie mit Hilfe eines Architekten und viel Eigenarbeit so kunstvoll aus den alten Sandsteinen und neuen Holzlamellen wieder aufgebaut hat, dass sie dafür mehrere Architekturpreise gewonnen haben. Der Hofladen ist so konstruiert, dass eine große Panoramascheibe den Blick auf das Herz der Haselnussproduktion freigibt: Auf eine große silberne Maschine, die mehrere hundert Kilo Nüsse am Tag rösten kann. Jede Nuss, die im Röster landet, wird von Hand verlesen – die Arbeiterinnen schaffen 130 Kilo am Tag.
Als er seine Haselnuss-Manufaktur aufbaute, rief Martin Stiegler beim Verband der Deutschen Kaffeeröster an, um herauszufinden, wo man eine gebrauchte Röstmaschine bekommt. Sein Handwerk hatte Stiegler unter anderem auf einer Haselnussfarm in Oregon gelernt. Im heimischen Betrieb nahm er sich drei Jahre Zeit zum Experimentieren, um auszutüfteln, wie er die besten Haselnüsse erntet, diese optimal röstet, mahlt und zu Produkten verarbeitet, die keine Wünsche offenlassen. Mit dem Röster schaffte Martin Stiegler den Sprung vom Landwirt zum Lebensmittelproduzenten: Statt Rohstoffe zu liefern und sich abhängig von schwankenden Erntepreisen zu machen, veredelt und vermarktet er sie selbst.
Der Kern des Haselnussgeschäfts ist, logisch, die Nuss selbst. Als Laie fragt man sich, was an Haselnüssen so kompliziert und anspruchsvoll sein soll, weil die Pflanzen überall wild wuchern und sich ungebeten im Garten breit machen. „Deutsche Sorten wie die Lange Zeller sind sehr zuverlässig im Anbau, aber der Ertrag ist nicht besonders gut“, erklärt Martin Stiegler. Zu den besten Sorten zählen die Hallischen Riesen, Tonda di Giffuni, Emoa und Katalonski, die für ihre großen Früchte und einen milden Geschmack bekannt sind. Haselnuss-Pionier Fritz Stiegler, Martins Vater, pflanzte in einem Modellversuch auf seinem Land 45 verschiedene Sorten, um herauszufinden, welche die frostigen Winternächte in Franken am besten überstehen. Das Projekt wurde von der EU subventioniert.
Eigentlich sind Haselnussplantagen nicht schwierig zu bewirtschaften. Man muss die Büsche beschneiden, sie einige Jahre wachsen lassen und in heißen Sommern mit Beregnungsanlagen bewässern, mehr ist nicht zu tun. Allerdings macht ein Schädling den Haselnussbauern Sorgen: Die braunmarmorierte Stinkwanze bohrt die Büsche an und zerstört die Pflanzen. Im ökologischen Anbau ist das Insekt schwer zu bekämpfen, doch Martin Stiegler hat sich dennoch gegen Gift entschieden. Zwischen den Haselnuss-Reihen scharren 1600 Hühner, sie picken auch den Haselnussbohrer auf. Aus den Eiern der Hühner macht Stiegler Nudeln und Eierlikör. Auf neun Hektar bauen Stieglers Haselnüsse an, außerdem haben sie noch Weideland für Pensionspferde und Flächen für Gemüse und Grünfutter.
Wenn die Nüsse reif sind, je nach Sorte von September bis Ende Oktober, fallen sie auf den Boden. Eine Art Kehrmaschine sammelt sie ein, oder sie landen in Netzen. Anschließend werden sie gewaschen, getrocknet und geknackt. Diese Aufgaben erledigen Maschinen, von Hand wäre das eine Sisyphusarbeiten. Stieglers haben selbst einen Knacker entworfen. Es sind zwölf Arbeitsschritte, bevor die Nüsse aufs Förderband kommen zum Sortieren. Die Guten kommen ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, wie im Märchen – der Ausschuss wird zu Tierfutter verarbeitet, die Schalen als Mulch für Hobbygärtner verkauft, Nussreste werden gemahlen und für Gewürzmischungen verwendet. Nur die allerbesten kommen ihm in die Tüte, sagt Martin Stiegler.
„Am beliebtesten beim Verbraucher ist die Knabbernuss, sagt Stiegler, „weil man die sonst nicht bekommt in dieser Qualität.“ Man kann sie in süßen, salzigen und natürlichen Geschmacksvarianten kaufen. Die Preise sind so knackig wie die Konsistenz der Nüsse. Ein Glas mit 180 Gramm Nuss-Nougat-Creme kostet happige 6,90 Euro. Das muss so sein, denn heimische Haselnüsse kosten viermal mehr als Haselnüsse auf dem Weltmarkt. Zum Glück gibt es immer mehr Genießer, die auf nachhaltige, regionale Produktion genauso viel Wert legen wie auf die geschmackliche Qualität. Das Nussgeschäft läuft gut: sechs bis acht Tonnen aus eigener Produktion verarbeitet Stiegler pro Saison, zusätzlich kauft er Landwirten aus der Region Nüsse ab.
Dass Stieglers Haselnüsse geschmacklich eine runde Sache sind, zeigt sich auch darin, dass Sterneköche wie Alexander Herrmann und Lokale wie Hangar 7 in Salzburg oder der Keidenzeller Hof in Langenzenn sich von ihm beliefern lassen. Auch Lebkuchen Schmidt in Nürnberg gehört neuerdings zu den Großkunden von Franken GeNuss. Bis zu den Dächern, die mit Lebkuchen gedeckt sind, ist es also wohl kein allzu weiter Weg mehr.
Franken GeNuss
Gonnersdorf 6, 90556 Cadolzburg