Tour de Provence

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TEXT | FOTOS Arno Makowsky

G&M-Autor Arno Makowsky durchstreift mit dem Fahrrad die Gegend um Avignon, entdeckt pittoreske Märkte und genießt die südfranzösische Landküche. Ein wenig Anstrengung gehört bei dieser Genussfahrt auch dazu.

Manchmal sind die vermeintlich schlimmsten Touristenfallen eine Offenbarung. Ich schlendere durch Avignon, über die Place de l’Horloge, diesen wunderbaren Platz, an dem sich ein Café an das andere reiht, und vorbei an dem respektgebietenden Rathaus, an dessen Portal groß die Worte „Liberté Egalité Fraternité“ prangen. Noch ein paar Meter rüber zum Papstpalast, die Abendsonne taucht das gewaltige Gebäude in ein gleißendes Licht. Und dann ist da plötzlich dieses kleine Restaurant am Rande des riesigen Platzes, es heißt „Le Moutardier“. Die weiß gedeckten Tische üben eine magische Anziehungskraft aus, Widerstand ist zwecklos. Schon sitze ich da, der freundliche Kellner bringt ein Glas Rosé und kurz darauf eine Foie Gras in Pistaziensplittern auf Rhabarber Confit. Das sind die Momente, in denen meine Leidenschaft für Südfrankreich, für seine lebendigen Städte, aufregende Landschaften und die fantastische Küche ihre Erfüllung findet.

Solche Glücksmomente gibt es viele, und das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass ihnen meistens einige Anstrengung vorausgeht. Die mit Lorbeer gewürzten Muscheln im Weißweinsud schmecken noch einmal so gut, wenn man zuvor 50 Kilometer durch die Alpilles zurückgelegt hat, die „Älpchen“, die einem nur dann klein vorkommen, wenn man sie nicht mit dem Fahrrad durchquert hat. Genau das ist aber mein Projekt: Eine herbstliche Genussfahrt durch die Provence, in einer Landschaft voller Sonnenblumen, Olivenhaine, Rosmarinbüsche und Lavendelfelder. Mit Pausen an glitzernden Flussläufen und Alleen, in denen es nach Feigen duftet. Kurz: eine explosive Mischung von allem, was die Provence zu einem Sehnsuchtsort sämtlicher frankophilen Germanen macht.

Die Provence spüren und genießen – darum geht’s

Dabei bin ich weder ein sportlich ambitionierter Rennradler, der die Höhen des Mont Ventoux erklimmen will, noch ein asketischer Kilometerschrubber. Nein, bei dieser kleinen Tour geht es darum, die Provence zu spüren und zu genießen. Alle paar Kilometer anzuhalten und irgend etwas zu probieren, herumzuschauen, sich ins Café zu setzen und ein Buch zu lesen. Die Strecke: Städtchen und Dörfer rund um Avignon, dem Ausgangs- und Endpunkt der Tour. 180 Kilometer insgesamt. Richtige Sportler würden das an einem oder zwei Tagen schaffen. Sie würden aber viel versäumen.

Den kleinen Bauernmarkt im Dorf Eygalières zum Beispiel, wo man einen Banon probieren kann, einen himmlischen Weichkäse, der in getrocknete Kastanienblätter gewickelt wird. Überhaupt die Märkte! Einen der größten und schönsten gibt es in Carpentras, einer charmanten Kleinstadt am Fuß des Mont Ventoux, meinem ersten Ziel nach Avignon. Der Markt ist berühmt für seine Trüffeln; während der Saison zwischen November und März wird hier der Trüffelpreis für ganz Frankreich ermittelt. Im Herbst liegen andere Köstlichkeiten auf den Ständen, noch immer Tomaten in ungeheuer Vielfalt, Artischocken und natürlich Oliven in jeder erdenklichen Art veredelt, mit Zitronenschale, Knoblauch, Mandeln… Am Imbissstand pinselt der Besitzer den gegrillten Schweinebauch mit einer Mischung aus Olivenöl, Zitronensaft und Honig ein, es duftet unbeschreiblich.

Was man für einen solchen Genusstrip braucht? Nicht viel. Ein paar Tage Zeit. Einen Flug nach Marseille oder ein Zugticket nach Avignon. Und ein Fahrrad. Der Transport nach Frankreich ist schwierig und teuer, deshalb reserviert man sich lieber eins direkt am Ort. Zum Beispiel beim Radverleih von Julien Mathieu in Avignon. 22 Euro am Tag kostet ein normales Trekkingbike bei ihm. Julien ist begeistert, wenn mal jemand kein E-Bike von ihm leiht, sondern ein ganz normales Fahrrad. Alle wollen sie nur noch die Elektroräder, sagt er, die Nachfrage sei „mega“. Er steht in seinem kleinen Laden in der Rue du Limas, kramt eine Pumpe aus der Schublade. „Pardon, aber gehört zum Fahrradfahren nicht auch ein wenig Anstrengung?“

Erst die Bachfuge, dann die Wildschweinpastete

Die kommt tatsächlich nicht zu kurz, zum Beispiel auf dem mühsamen Weg von Carpentras nach Fontaine de Vaucluse, einem pittoresken kleinen Ort, an dem man die Quelle der Sorgue besichtigen kann, und wo man am besten im ganz formidablen „Hôtel du Poète“ wohnt, durch dessen Garten ein kleiner Bach fließt. Auf der Strecke nach Fontaine liegt L’Isle-sur-la-Sorgue, ein Städtchen, das für seine Brücken und vielen historischen Wasserräder bekannt ist. Und natürlich für die Barockkirche Notre-Dame-des-Anges. Mit ein wenig Glück kann man ihre berühmten 22 Holzstatuen betrachten, während der Organist eine schwierige Bachfuge übt. Der konsequente Genussradler wird allerdings in erster Linie das „Café de France“ an der Place de la Liberté ansteuern, unter dessen Platanenblättern eine hinreißende Wildschweinpastete serviert wird.

Ja, es ist die französische Landküche, die ich bei dieser Tour besser kennenlerne, und die sich bereits seit Jahren in Richtung Leichtigkeit wandelt. Vorbei die Zeit der prätentiösen Arrangements und mächtigen Saucen, stattdessen dominieren Fantasie und regionale Produkte. So wie die mit Eigelb, gehackten Shrimps, Knoblauch und Kräutern gefüllten Eier, die im Café de France als erster Gang serviert werden. Als ich der Kellnerin meine Begeisterung mitteile, kommt umgehend der junge Koch an den Tisch und bedankt sich: „Merci, Monsieur, de votre intérêt…“

Der ganze Ort ist von Nebenarmen der Sorgue eingefasst, unzählige Brücken und charmante Sträßchen laden zum Verweilen ein. Ganz locker absolviert man als Radler auch die Tour durch die Einkaufsgassen, in denen Shops den üblichen provencalischen Kitsch (Salatbesteck aus Zedernholz, überteuertes Olivenöl, Tischdecken mit Weinrebendekor) anbieten. Für größere Mitbringsel ist leider kein Platz in der Satteltasche…

Alleine radeln, ist das nicht langweilig? Keineswegs!

Am angenehmsten radelt es sich in den Nachmittagsstunden, wenn die Sonne noch einmal ihre ganze Kraft entfaltet, aber ohne ihr Stechen wie im Hochsommer. Was für ein Vergnügen, durch die Obstfelder bei Cavaillon zu gondeln, auf einer Wiese anzuhalten, sich ins Gras zu setzen, einen Schluck Wasser zu trinken. Ein Foto? Alleinfahrer haben die Angewohnheit, ihr Fahrrad zu fotografieren. Erstens, weil sonst niemand da ist, und außerdem, weil es ein Kumpan ist, auf den man sich verlassen kann. Und der einen ansonsten in Ruhe lässt.

Wer mit dem Fahrrad alleine unterwegs ist, wird ja immer wieder gefragt, ob das denn nicht langweilig sei, so ohne Ansprache und ohne Möglichkeit, seine Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Die Wahrheit ist: Gerade das ist das Reizvolle – für ein paar Tage. Zu sich selbst kommen, nachdenken, beim Radeln seinen eigenen Rhythmus finden, sich mit einem Buch eine Stunde ins Café setzen (und wenn man Lust hat, auch zwei) – das hat was. Wenn man es dann noch schafft, das Handy nur einmal am Tag für ein paar Minuten einzuschalten (für einen Anruf daheim), wird es richtig entspannt.

Letzte Station meiner Rundfahrt um Avignon ist Saint-Rémy de Provence. Eine Kleinstadt, deren berühmtester Sohn der Seher Nostradamus war. Auch hatte die Familie des Marquis de Sade hier ein hübsches Wohnhaus. Erstaunlich, dass Saint-Rémy trotzdem ein außerordentlich liebenswertes Städtchen ist. Am Samstagvormittag treffen sich Einheimische auf einem Platz unter Platanen, um Tango zu tanzen. Touristen sehen ihnen zu, essen Eis oder trinken einen giftgrünen Sirop de Menthe. Mehr Provence geht nicht.

Und jetzt? Man könnte in das kleine Museum gehen und zeitgenössische regionale Malerei betrachten. Oder das unglaublich charmante Bistro „Chapeau de Paille“ ansteuern, das die französischen G&M-Kollegen mit einer Haube ausgezeichnet haben. Als Mittagsgericht gibt es dort mit Pastis flambierte Wachtel.

Ich verrate jetzt nicht, wofür ich mich entschieden habe.

Hier einige weitere Adressen, die unsere Kolleginnen und Kollegen von Gault&Millau France empfehlen:

Avignon:

Restaurant Vieille Fontaine im Hotel l’Europe: Eleganter Innenhof, eine luxuriöse Oase im Trubel der Papststadt. Jetzt im Herbst haben saisonale Produkte ihren großen Auftritt, vom Reh in Pfeffersauce bis zur Jakobsmuschel mit Cedratbutter. Und natürlich im vegetarischen Menü. Eindrucksvolle Weinkarte mit Schwerpunkt Châteauneufs.

12 Place Crillon, 84000 Avignon, reservations@heurope.com

Restaurant Acte 2: Charmante Adresse in einer alten Gasse, beliebt bei Einheimischen und Gourmet-Touristen. Die Küche ist fantasievoll und kreativ. Beispiel aus der Karte: Jakobsmuscheln mit Fenchel und Zitronengewürz, sanft gegarter Kabeljau mit Kürbispüree und Zitronengrasemulsion, französisches Hirschfilet mit Quittengewürz, Apfelkaramell-Apfelwein zum Dessert.

3 bis rue de la Petite Calade, 84000 Avignon, www.restaurantacte2.com

Restaurant Aimé: Die Küche verbindet französisches Bistro mit einem Hauch Japan. Idyllisch gelegen beim Kloster St. Pierre. Der junge japanische Küchenchef arbeitet mit überraschenden Einfällen, die beide Welten reizvoll kombinieren.

3 Place Cloître Saint Pierre, 84000, Avignon, www.aimerestaurant.fr

Saint Rémy de Provence:

Restaurant Le V im Hotel Vallon de Valrugues: Ein wenig außerhalb des Städtchens gelegen, ein Besuch des überaus charmanten Hotels bietet sich an. Klassisches Restaurant mit französisch-mediterraner Ausrichtung – Lamm aus der Crau und, klar, selbstgemachter Foie Gras de Canard mit Feigen. Von der Weinkarte waren die Kollegen sehr angetan.

 9 Chemin Canto Cigalo, 13210 Saint-Rémy-de-Provence, info@vallondevalrugues.com

Eygalières:

Maison Hache: Sehr hübsches Restaurant mitten in einem der idyllischsten Dörfer der Provence, in den Alpilles. Christopher Hache schwelgt in den Aromen all der lokalen Produkte, die er zumeist direkt aus der Nachbarschaft bezieht. Je nachdem, was der Fischer aus Crau du Roi oder der Gärtner in Tourves liefern, arrangiert er seine Menüs. Sein Credo: Einfachheit und Konzentration auf das Wesentliche.

30 rue de la République, Eygalières, 13810, www.maisonhache.com

Titelfoto: Blick in die Alpilles von Eygalières aus, einem der schönsten Dörfer der Provence

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