„Wir sind nicht gezwungen, ein Universaltalent zu sein“
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INTERVIEW Nick Pulina | FOTO birdyfoto
Es ist in der langjährigen Geschichte des Gault&Millau Weinguides nur selten passiert, dass eine so große Kollektion die Verkoster:innen so einhellig begeistert hat wie die der Becksteiner Winzer im vergangenen Jahr. Von herrlich trinkigen und äußerst preiswerten Weinen bis hin zu ausdrucksstarken Gewächsen aus prestigeträchtigen Einzellagen überzeugen die Becksteiner Winzer auf ganzer Linie. Das ist besonders erfreulich angesichts der jahrhundertealten Geschichte der Genossenschaft: Sie ist die drittälteste in ganz Baden und schafft es wie kaum eine andere, altes und neues Wissen im Sinne von Natur und Weinkultur zu verbinden. Daher sind die Becksteiner Winzer für uns die Genossenschaft des Jahres.
Wir sprechen mit Geschäftsführer Michael Braun über die Organisation einer Winzergenossenschaft, seinen Weg zu den Becksteinern und die Frage, warum Schwarzriesling in ihrem Portfolio eine überdurchschnittlich große Rolle spielt.
1. Herr Braun, was macht man als Geschäftsführer der drittältesten Winzergenossenschaft Badens?
Was macht man nicht (lacht)?Ich bin im Grunde in allen Bereichen tätig. Natürlich bin ich viel im Vertrieb unterwegs. Ich möchte unsere Kunden erreichen und bei Weinproben und anderen Veranstaltungen von unserem Wein und Kulturgut begeistern. Außerdem bin ich auch für den Export zuständig. Dafür war ich schon in vielen Ländern unterwegs und habe Importeure von uns überzeugen können. Und dann liegen meine Aufgaben natürlich auch noch im Bereich der Verwaltung und Anleitung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
2. Was hat Sie dazu bewogen, für eine Genossenschaft zu arbeiten?
Ich bin im Weinberg großgeworden – mit allen Arbeiten, die dort stattfinden. Dadurch kenne ich all unsere Winzerinnen und Winzer, alle Weinberge und Lagen bestens. Als studierter Ingenieur und Betriebswirt bin ich dem Ausbildungsgang nach ein Quereinsteiger, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Schaut man sich aber an, wie ich aufgewachsen bin, würde das wohl niemand über mich sagen.
3. Nehmen Sie selbst Einfluss auf die Weine oder überlassen Sie das voll und ganz dem Kellermeister Florian Döller?
Florian arbeitet an sich erst einmal völlig eigenverantwortlich. Ich verstehe mich vielmehr als Begleiter und Koordinator des ganzen Prozesses. Wir verkosten sehr viel zusammen und sprechen aktiv über Verbesserungspotenzial. Und die Qualitätsverbesserung fängt für uns beide im Weinberg an. Also greife ich insofern in den Wein ein, als dass ich als Bindeglied zu den Winzern fungiere, ihre Arbeit koordiniere und kontrolliere.
Wenn Florian und ich dann zusammen verkosten, geht es unter anderem auch viel darum, wie sich z.B. unsere Ortsweine vom Lagenwein abgrenzen sollen. Das muss aktiv während des Ausbaus begleitet werden. Für die bessere Übersicht haben wir so eine große Tapete im Keller, auf der wir all unsere Produkte aufgezeichnet haben. Da ist für jeden Wein der exakte Weg vermerkt, wie wir im Keller am besten mit ihm umgehen. Am Ende entscheidet selbstverständlich immer die Sensorik, aber die Richtung ist genau definiert; da ist wenig Raum für Zufall.
4. Wie behält man bei dieser Vielzahl an Weinen noch den Überblick im Keller? Dafür wird eine ‚Tapete‘ wohl nicht reichen, oder?
Das stimmt. Wir sind in Gänze so gut organisiert, wie es nur die wenigsten Einzelweingüter sind. Bei uns ist alles genau dokumentiert. Wir haben viele Experten, die das strukturieren. Das fängt bei den Winzern an, die immer einen kleinteilig ausgefüllten Annahmebeleg bekommen, der unter anderem über Lage, Qualität und Annahmezeitpunkt aufklärt, und geht bis hinein in den Keller. Hier hat jeder Tank seine eigene Nummer, wir haben Tankurkunden und vieles mehr. Das alles wird natürlich digital begleitet. An sich organisiert sich jedes Weingut selbst, aber wir haben schließlich die Verantwortung dafür, dass am Ende alles genauestens koordiniert zusammentrifft und abläuft.
5. Was unterscheidet die Becksteiner Winzer von anderen Genossenschaften?
Zum einen würde ich sagen, dass das Thema Weinqualität bei uns eine überdurchschnittlich große Rolle spielt. Wir wollen nie nachlassen, jedes Jahr ein bisschen besser werden und immer noch einen draufsetzen. Mein Ziel ist es, niemals stehenzubleiben. Die Auszeichnung von Gault&Millau ist eine schöne Bestätigung für dieses Streben. Aber ausruhen wollen wir uns darauf nicht.
Zum anderen sind wir im Vergleich zu anderen Genossenschaften sehr flexibel und dynamisch. Bei uns sind vergleichsweise wenige Menschen an den Entscheidungswegen beteiligt, sodass diese sehr schnell gegangen werden können. Die großen Vorstände und Aufsichtsräte vieler anderer Genossenschaften haben sicherlich auch ihre Daseinsberechtigung, aber wir wollen einfach schneller sein und mehr Chancen ergreifen können. So liegt die volle Verantwortung bei mir, aber eben auch das volle Vertrauen unserer Winzer.
6. Vom Sekt über den Liter und Rosé bis zum Lagen- und Reservewein: Schwarzriesling gibt es bei ihnen in allen Facetten. Warum liegt er der Genossenschaft so sehr am Herzen?
Das war zu Beginn tatsächlich eine rein betriebliche Entscheidung. Wir waren immer sehr stark von Frühjahrsfrösten gebeutelt. Und da der Schwarzriesling einen ziemlich späten Austrieb hat, ist er dem gegenüber eher unempfindlich. So hat er vor vielen Jahren bei uns Einzug gehalten. Zwischendurch war er auch mal etwas weniger beliebt, aber inzwischen haben wir die Liebe zu ihm wiederentdeckt. Besonders für herausragende weiße Sekte, aber auch für tollen Rosé-Schaumwein und sortenreinen Rotwein ist er sehr gut geeignet. Und ich sage hier explizit Rot und nicht Schwarz! Die Farbe eines guten Schwarzrieslings tendiert eher zu hellem Rot, ähnlich dem Pinot. Wenn man weiß, wie man mit ihm umgehen muss, kann man große Weine aus ihm machen.
7. Hand aufs Herz: Lassen sich mit einer Genossenschaft überhaupt große Weine erzeugen?
Dass das so ist, ist für mich sehr klar. Weniger klar ist mir allerdings, warum Genossenschaften gemeinhin einen schlechten Ruf genießen. Es ist doch wie bei den Weingütern auch: Es gibt herausragende Genossenschaften, die in der absoluten Qualitätsspitze dabei sind, und genauso gibt es welche, die da eben nicht dabei sind. Außerdem haben wir als Genossenschaft einen entscheidenden Vorteil: Im Gegensatz zum einzelnen Winzer sind wir nicht gezwungen, ein Universaltalent zu sein. Wir können die einzelnen Aufgaben an Menschen verteilen, die absolute Experten auf ihrem Gebiet sind. Das sind die Winzer, die die Arbeit im Weinberg machen, das sind der Kellermeister und sein Team, die sich im Keller um die Weine kümmern, das sind mein Team und ich, die den Vertrieb organisieren. Ich sehen keinen Grund, warum dabei nichts Großes herauskommen sollte. Im Gegenteil: Ich glaube, dass sich eine Genossenschaft sogar noch mehr anstrengen muss, damit ein Wein als großer Wein angesehen wird, als es ein einzelner Winzer bei vergleichbarer Qualität tun müsste.
8. Wie kann man bei derart vielen Mitgliedern überhaupt für einwandfreie Traubenqualität garantieren?
Die Kontrolle der Trauben ist eine meiner Hauptaufgaben und die nehme ich auch sehr ernst. Ich beobachte die Reben und Trauben von sehr frühem Zeitpunkt an regelmäßig. Natürlich nehmen wir auch Analyseproben, aber mein Hauptentscheidungsmittel ist immer die Sensorik. Daher bin ich auch während der Ernte unentwegt im Weinberg unterwegs, probiere die Trauben und lege selbst die Termine fest, was wann geerntet werden muss. Wenn ich direkt im Wingert die Qualität überprüfe, muss dann bei der Annahme nichts mehr gemacht werden. Wenn ich eine Traube probiere, habe ich habe ein ziemlich genaues Bild davon vor Augen, wie der Wein später schmecken soll. Dafür ist es sicherlich sehr hilfreich, dass ich selbst aus Beckstein komme und die hiesige Luft und Mineralität schon von Kindesbeinen an atme.
9. Kann jeder Winzer Mitglied in Ihrer Genossenschaft werden?
Die Grundvoraussetzung ist natürlich, dass seine Arbeit zu unserer Struktur und Philosophie passt: Wir sind aus Tauberfranken, wir lieben unseren Muschelkalk, unsere Witterungsböden und unser Cool Climate. Da muss der Winzer in jedem Fall mit uns an einem Strang ziehen. Außerdem muss ich mit ihm natürlich etwas produzieren können, das sich in das Portfolio der Becksteiner Winzer einfügt und sich von uns vermarkten lässt.
10. Was bringt die Zukunft?
Wir sind zwar immer am Tüfteln und Verbessern, konzentrieren uns damit aber sehr auf unsere bestehenden Weine. Im letzten Jahr haben wir uns z.B. für die Veredelung mancher Weine auf neue Barrique-Fässer konzentriert. Einige unserer neuen Chardonnays, Spätburgunder und Schwarzrieslinge aus dem Jahrgang 2023 dürfen nun in neuen Fässern aus dem Burgund reifen. Außerdem haben wir auch noch einen schönen neuen Wein in der Pipeline – einen etwas älteren Jahrgang, den wir neu auflegen wollen. Man darf auf jeden Fall gespannt sein!