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TEXT Nick Pulina | FOTOS Hause Kaltenthaler
Branntweinessig, Weißweinessig, Rotweinessig, Obstessig, Shrub, Balsamico und so weiter und so fort: Wer im Geschäft vor dem Essigregal steht, kann schnell erschlagen werden von der schier endlosen Auswahl an sauren Würzprodukten. Die Vielseitigkeit von Essig ist eine seiner größten Stärken, bietet aber zeitgleich eine große Angriffsfläche für industriell gepanschte Massenware, die mit reichlich Zucker- und Aromenzugabe gerade so genießbar gemacht wird. Wer wirkliche Qualität will und weder Zeit noch Muße hat, sich in die Eigenproduktion zu stürzen, muss oft lange suchen, bis er Essige in Premiumqualität findet. Die Wormser Essigmanufaktur des Hauses Kaltenthaler erleichtert diese Suche. In dritter Generation stellt man hier hervorragende Essige unterschiedlichster Geschmacksrichtungen her, die in dieser Varianz und Güte in Deutschland eine echte Rarität sind. Für uns gehört das Hause Kaltenthaler deshalb zu den besten Erzeugern Deutschlands.
Wer kennt sie nicht, die zweifelhaften Fläschchen, die beim Italiener an der Ecke auf dem Tisch stehen und vermeintlich jahrelang gereiften Balsamico enthalten – zur freien Dosierung, versteht sich. Überboten wird dies nur noch von zum Sirup eingedickter Balsamico-Creme, die großzügig über dem Caprese verteilt wird und auf dem frei gebliebenen Bereich des Tellers noch ein dekoratives Muster zu zeichnen vermag. Die italienische Essigspezialität hatte es hierzulande nicht leicht in den letzten zwei Jahrzehnten. Umso wichtiger ist es, den hiesigen Genießer:innen das Produkt wieder in einer Qualität schmackhaft zu machen, die weit mehr kann als Tellerdekoration. Warum nicht mit einem Balsamico, zwar nach italienischem Vorbild, aber eben doch in Deutschland hergestellt? Familie Kaltenthaler aus Worms beweist, wie gut das funktionieren kann.
Als Georg Franz Kaltenthaler im Jahr 1959 im Wormser Stadtteil Herrnsheim den Grundstein legt, gilt dieser zunächst einer Straußwirtschaft und einem landwirtschaftlichen Mischbetrieb. Nach einigen Jahren des saisonal geöffneten Restaurantbetriebs, des Ackerbaus und der Viehzucht entschließt er sich in den 1960er-Jahren schließlich dazu, den Weinbau mehr und mehr in den Fokus seines Tuns zu rücken. Als 1982 Sohn Frank Egon in das Unternehmen einsteigt, setzt er als ausgelernter Winzermeister diese Fokussierung seines Vaters fort und geht sogar so weit, sich in weiterer Folge nur noch auf Weinbau zu konzentrieren. Inspiriert von einigen Italienurlauben dieser Zeit, entschließt sich Frank Egon Kaltenthaler im Jahr 1988, neben der Wein- auch eine Essigproduktion zu beginnen. Der Startschuss für die heute im Betrieb zentrale Essigmanufaktur.
Mittlerweile ist auch Sohn Jan Frank im Betrieb mit von der Partie. Während sein Bruder Felix Georg sich um die vom Großvater gegründete Destillerie kümmert, ist Jan ganz in die Wein- und Essigproduktion des Vaters involviert. Nach seinem Abschluss als Brau- & Getränketechnologe kehrte er 2021 in den heimischen Betrieb zurück: „Wenn man mit dem ganzen Thema groß wird, hat man natürlich immer eine gewisse Eichung. Meine Eltern haben gesagt, ich kann jederzeit einsteigen, wenn ich das will, aber ich wurde zu nichts gezwungen.“ Wertschätzen habe er das immer können, trotzdem brauchte es nach dem Abi erst mal einen Tapetenwechsel. Nach einigen Reisen und Anstellungen in Hamburger und Berliner Start-ups wurde Jan dann allerdings doch schnell klar, was er eigentlich will: „Es ist doch super hier. Im Frühling ist man schnell in den Weinbergen, im Sommer schnell im Wald. Der Betrieb bietet einfach mehr Vielfalt, seien es die Kunden oder die Besuche in Restaurants, wenn wir neue Produkte vorstellen. Langweilig wird es mir jedenfalls nicht.“
Doch sowohl für einen gelernten Winzer als auch für einen Brau- & Getränketechnologen ist die Produktion von Essig kein regulärer Bestandteil der Ausbildung. „Da braucht man ’ne Menge Sitzfleisch und muss viel testen und probieren“, weiß Jan. Sein Vater musste sich all sein Wissen und die mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung von Grund auf neu erarbeiten. Ein Schatz, aus dem der 25-Jährige nun schöpfen kann. „Die Essigproduktion rückt immer mehr in unseren Fokus. Wir haben monatliche Besprechungen, was wir wie besser machen können und wo wir noch Entwicklungspotenzial sehen. Essig ist für uns kein Abfallprodukt des Weinbaus, ganz im Gegenteil. Bei uns fließen die Trauben, die anderswo in die Lagenweine gehen würden, kompromisslos in den Essig.“
Nachdem aus den Weintrauben nach dem herkömmlichen Prinzip Wein gekeltert wurde, wird dieser mit einer speziellen Kultur von Essigbakterien versetzt und belüftet – das sogenannte Orléans-Verfahren. Die Bakterien wandeln den Alkohol im Wein langsam zu Essigsäure um. Ihr Stamm ist dabei dem Sauerteig in einer Traditionsbäckerei nicht unähnlich, auch er wird immer wieder ‚gefüttert‘ und aufrechterhalten.
Nachdem aus dem Wein Essig geworden ist, kann dieser nun auf unterschiedlichste Weise weiterverarbeitet werden. Familie Kaltenthaler produziert zahlreiche verschiedene Essigspezialitäten. Vom klassischen Balsamico über Fruchtbalsamessige und aromatisierte Würzessige bis zum rebsortenreinen Weinessig bleiben keine Wünsche offen. Pur zu trinkende, mit Pastinake, Rainfarn oder Wermut angereicherte Aperitif-Essige sowie die erfrischenden Shrubs, also Frucht-Essig-Zubereitungen, die besonders mit eiskaltem Mineralwasser aufgegossen ein perfektes Sommergetränk abgeben, ergänzen das Portfolio. Ein besonderes Schätzchen haben die Kaltenthalers gerade zur Vorbestellung freigegeben: einen 25 Jahre lang gereiften Balsamico.
„Das hat mein Vater leider ein bisschen verhauen“, klagt Jan scherzhaft. „Hätte er diesen Balsamico ein Jahr früher angesetzt, hätten wir sozusagen den gleichen Geburtsjahrgang. Aber auch so ist das für einen kleinen Familienbetrieb wie unseren etwas ganz Besonderes.“