Wasser Dry January

Tagebuch eines Dry January – Weintipp der Woche

Enthaltsamkeit bringt Lustgewinn. Eine Philosophie, wie sie in jeder größeren Weltreligion anzutreffen ist. Dass die erfüllende Belohnung dabei erst im Jenseits vor der Tür steht, gehört leider zum Prinzip. Was für ein Glück, dass sich der Weingenuss eher auf der Stufe einer Ersatzreligion bewegt, deren Regeln allein durch den eigenen Geschmack festgelegt sind!

Doch auch hier gilt: Maßlosigkeit mag kurzfristig in einen paradiesischen Zustand führen, auf Dauer jedoch nur zu Problemen. Um dem zu entgehen, üben sich zahlreiche Weinfreunde zum Jahresbeginn im Verzicht. Der sogenannte ‚Dry January‘ soll entgiften, der Leber Wellness gönnen und am Ende die Lust auf Genuss ganz neu beflügeln.

So viel zur edlen Theorie. Meine Realität sieht anders aus:

01.01. Ich stelle das Glas, eben noch vom Mitternacht-Champagner veredelt, zur Seite. Während ich es erneut fülle, versichere ich mir, dass der Januar erst nach der Nachtruhe offiziell beginnt.

04.01. Das Internet ist voll von Gleichgesinnten. Es werden Tipps über „Substitute“ ausgetauscht. Konventionell vinifizierter und nachträglich entalkoholisierter Wein, Frucht-Secco, Kombucha. Mein Optimismus wächst.

07.01. Im Feinkost-Supermarkt kaufe ich die Empfehlungen der Online-Enthaltsamen. Hatte ich in meiner Verzweiflung tatsächlich geglaubt, ein alkoholfreier Riesling habe Potential?

08.07. Ich lasse mich zu einem Besuch in der Lieblingsbar bereden. Diese Gelegenheit zur Untermauerung meiner moralischen Integrität lasse ich natürlich nicht verstreichen. Während sich meine Begleitung durch die gut sortierte Cocktailkarte trinkt, zutzle ich an einem alkoholfreien Basil Smash. Moralische Überlegenheit schmeckt fad nach Apfelsaft und Küchenkraut.

09.01. Kurzurlaub!! Ein Glück, dass die Regeln des Dry January nur in heimischen Gefilden gelten!

12.01. Rückkehr aus Frankreich. Im Gepäck habe ich neben einem ansehnlichen Kater und kiloweise High-End-Fischkonserven auch einen Karton Champagner – Planung ist das halbe Leben.

14.01. Während ich zum Bundesligaspiel meines Lieblingsvereins statt eines kühlen Blonden nur aufgesprudeltes Leitungswasser trinke, wächst die Verzweiflung.

16.01. Mein Weinhändler bewirbt den Dry January mit Angeboten auf trockene Weine. Sehr witzig!

19.01. Der bestellte Wein trifft ein. 15% auf alles unter 8 Gramm Restzucker!

23.01. Nachdem ich in der vergangenen Woche mehrere Einladungen zu vielversprechenden Tastings ausschlagen musste, steht eines fest: Am 1. Februar wird verkostet, was die Gläser halten!

25.01. Die letzte Woche ist angebrochen und der Kühlschrank in froher Erwartung befüllt. Natürlich mit dem Champagner, der seinen Weg in meinen Koffer gefunden hatte: 

Champagne Roger Coulon: „Heri-Hodie Premier Cru extra brut“

Champagne Roger Coulon Heri-Hodie

Als ich kürzlich Besuch von einer Freundin aus Paris bekam, hatte sie Coulons „Heri-Hodie“ (Foto: ©Champagne Roger Coulon) im Gepäck. Ein wunderbar anschmiegsamer Champagner, der das Wiedersehen bei französischem Käse und Baguette perfekt zu untermalen wusste. Damit wird sich auch das Ende des Januars gebührend begießen lassen!

Sollten Sie am 1. Februar irgendwo einen Korken knallen hören, denken Sie an uns arme Irre, die sich freiwillig einen Monat von ihrem liebsten Genuss abwenden. Ob die Leberwerte es uns danken, sei dahingestellt – zumindest die Vorfreude steigt in ungeahnte Höhen.

Herzlichst Ihr

Nick Pulina
Autor Gault&Millau Digital

Foto: Unsplash

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