Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
lassen wir uns bei der Beurteilung eines Weines vom Preis beeinflussen? Eine Frage, die besonders auch bei der professionellen Einordnung von Wein von entscheidender Bedeutung ist. Deshalb fand ich eine aktuelle Studie der Universität Basel hochspannend. In einem Experiment wurde unter anderem nachgewiesen, dass die Teilnehmer billigem Wein bessere Noten gaben, wenn sie mit einer höheren Preisangabe bewusst fehlgeleitet wurden. Die Preisinformation beeinflusst also die Wahrnehmung des Weins.
Das entspricht auch den Beobachtungen, die Emanuele Boselli von der Universität Bozen gemacht hat. In einem Gespräch, das ich für die erste Ausgabe des Gault&Millau Magazins mit ihm geführt habe, zeigte er auch weitere Schwachstellen einer um Objektivität bemühten Wahrnehmung auf. „In verschiedenen Lebensphasen, Stimmungen und an verschiedenen Ortenkönnen wir zu deutlich abweichenden Urteilen über einen Wein kommen”, so der Professor für Lebensmittelwissenschaften.
Aber nicht nur das: Sogar die Raumbeleuchtung und die Lichtverhältnisse können die Geschmacksbewertung des Weins beeinflussen. Bei grünem Licht hat man zum Beispiel den Eindruck, dass der Wein mehr Säure hat. Unsere Sensorik ist nicht etwa präzise analytisch, sondern komplex und höchst anfällig für situative Einflüsse.
Wie Professor Boselli weiter erläutert, ist unser Geschmack als Schutzmechanismus darauf programmiert, „den Fehler zu finden”. Von der Norm abweichende Extreme sind für die Sensorik erst einmal eine Herausforderung, die eine Abwehrhaltungprovozieren. Ich muss gestehen, dass es Weine gibt, die beim ersten Kosten bei mir genau diese Abwehrhaltung auslösten. Um aber zu einem möglichst objektiven Urteil zu kommen, sollte man auch dem Unbekannten, dem Überraschenden – ja, sogar dem Verstörenden eine faire Chance geben. Das ist beim Musikhören oder als Theaterbesucher nicht anders.
Nun, ich bin heute tief in die Wissenschaft des Weintrinkens eingetaucht. Am Ende des Tages soll es einfach auch Spaßmachen, sich neue Geschmackserlebnisse zu erschließen und so vielleicht den persönlichen Favoriten von morgen zu entdecken.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Gault&Millau Sie dabei unterstützen und inspirieren kann.
Ihr Martin Fraas
Gault&Millau Redaktion
Foto: Corina Rainer