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INTERVIEW Hans Fink | FOTO Chiemgauhof
Ein wenig Ungeduld kann bei Ursula Schelle-Müller plötzlich entstehen, und das fällt insofern auf, da sie im Gespräch und unserem Treffen eine gleichbleibend wohltuende und ansteckende Ruhe ausstrahlt.
Wir haben uns im neu erbauten Chiemgauhof in Übersee getroffen. Ein Meisterwerk des Stararchitekten Matteo Thun und das neueste Hotel, das Familie Müller neben dem sechs Kilometer entfernten Achental und dem Kitzhof in Kitzbühel betreibt. Die Ungeduld galt einem Teppichfaltenwurf oder der nicht richtigen Sessel-Folge am Mastertisch in der Bar, die bunt gemischt in Form und Umfang sein soll. Kleinigkeiten, könnte man denken, wäre man nicht Ursula Schelle-Müller, deren Design- und Formempfinden nicht nur die Motel-One-Hotels geprägt haben (ihr Ehemann ist der Gründer der gleichnamigen Hotelkette), sondern nun eben auch den Chiemgauhof.
Es sind eben diese angeblichen Kleinigkeiten, die es ausmachen. Bevor wir darüber sprechen können, sortieren wir unseren Appetit und bestellen Sushi – Chiemsee-like –, denn die Region kocht in der Küche von Küchenchef Max Müller immer mit. Da ersetzt zum Beispiel gekonnt die Lachsforelle den Lachs, und Zander ist mit von der Sashimi-Partie. Das Konzept ist zusammen mit dem Fünf-Hauben-Koch Edip Siegl erdacht, dem Meister des Fine-Dining-Restaurants „es:senz“ im Achental. Ein Glas Laurent-Perrier La Cuvée Brut begleitet unser Gespräch und – wie passend – die Frage nach dem Wesentlichen.
Gab es ein Vorbild für dieses Haus, will ich wissen. Sie hat sich an Matteo Thun orientiert, der den Genius Loci, den Geist des Ortes, in den Vordergrund stellt. Thun wollte bei ihrem ersten Treffen von ihr wissen, was es zu essen gibt in dem neuen Hotel. Eine großartige Frage, wie wir beide finden, denn Essenskultur sollte immer einen sinnlichen Mittelpunkt der Gastlichkeit bilden. Ein gebeizter Saibling, den wir als zweites Gericht bekommen, unterstreicht dieses schöne lokal geprägte Küchenkonzept und den Ort.
Und dann wie passend der See, der so omnipräsent ist. Für sie ist das ein magischer Ort, und in der Tat, er zieht einen in den Bann – das ist dem See und Thuns hervorragendem architektonischen Konzept geschuldet. Ein wunderbarer Platz – ohnehin ein Mantra der Müllers: „Lage, Lage, Lage“, wie sie sagt. In allen Hotelprojekten, auch der vielen Motel Ones, ein zentraler Bestandteil der Planungen. Wir werden angenehm unterbrochen, denn als weiteren Gang serviert Max Müller ein Beuschel in einer fantastischen Zartheit, mikroskopisch geschnitten und in angenehmer Säure.
Neben der Lage kommen wir auf die Maximen zu sprechen, die für die Gastgeberin gelten. Ihr Antrieb, wie sie sagt, ist der Gast – sie will ihn überraschen und begeistern. Ich kann mir nicht vorstellen, woran dies an der Küste Übersees in diesem Paradies nicht gelingen sollte. An alles ist gedacht – am Steg kann ein geräumiges E-Boot von Frauscher gekapert werden. Es gibt Zimmer mit Sauna, großzügige Terrassen und Balkone, ein Bootshaus als Yoga-Retreat oder Eventlocation, ein dauerhaft beheiztes Schwimmbad, das im Winter jede Schneeflocke zum Schmelzen bringt. Ihre Liebe, wie sie sagt, gehört dem Detail, und das haben wir schon an ihr kennenlernen dürfen, um damit eine Atmosphäre im Großen zu gestalten. Mindestens einmal pro Woche pendelt sie von ihrem Haus am Starnberger See nach Übersee und ins Achental. Die beiden Hotels sind verbunden, es ist ein Resort, in dem die Gäste nun eine noch größere Wahl haben. Das viel größere Achental Hotel ist Backbone für Teams, Azubis, Infrastruktur oder eben Management und Küche.
Sie ist nach wie vor für die One Foundation (Stiftung der Motel-One Group) tätig und in Repräsentanz-Angelegenheiten auch mit ihrem Mann unterwegs, der als Aufsichtsratsvorsitzender bei Motel One nach wie vor stark eingebunden ist. Da bleibt wenig Zeit für eine Auszeit am Starnberger See mit Familie und Hund, Zeitung lesen und ein wenig Golf spielen – mitunter auch am Ferienwohnsitz auf Mallorca.
Nachdem sich unser Gespräch dem Ende zuneigt, frage ich noch kurz, was sie sich generell wünschen würde: als Managerin weniger Bürokratie und Regulierung, die in Deutschland zu weit greift. Sie beunruhigen die Fake News in Social Media, die Polarisierung der Gesellschaft, abnehmende Toleranz und Respekt. Aber sie weiß auch einzugrenzen, wann sie Dinge bewegen kann. Sie macht mit Herzblut Dinge, die sie ändern kann. Das glaubt man ihr sofort, und wenn es auch mal nur Kleinigkeiten sind…



FOTOS mi/re Elias Hassos