Avantgarde, fast ganz ohne Zucker: Törtchen, Pralinen und Croissants made in Düsseldorf

Erzeugerporträt: Pure Pastry by Tim Tegtmeier

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TEXT Anke Kronemeyer | FOTOS Pure Pastry

Tim Tegtmeier und seine mehr als 30 Mitarbeiter:innen stellen jeden Tag hunderte von süßen Produkten her. Sie werden nicht nur auf dem Düsseldorfer Carlsplatz, sondern auch bundesweit in Restaurants, Cafés und Hotels angeboten.

Es ist Samstag, 5 Uhr in der Früh. In der Backstube herrscht geschäftiges Treiben. Alle stehen an ihren Posten, viel geredet werden muss nicht. Alle wissen was zu tun ist. Die einen holen die Croissants aus dem Gärschrank, in dem diese in der Nacht geruht haben, und schieben sie in den Backofen. Die anderen sortieren die Macarons, die nächsten backen aus dem Sauerteig, der einige Stunden gezogen ist, frische Brötchen und kleine Baguettes. Die andere Crew bereitet das Catering für den Abend vor. Ein Empfang in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Königsallee, dort soll es ein süßes Dessert made by Pure Pastry geben inklusive süßer Give-aways für jeden Gast. Um 6.45 Uhr kommt der erste Lieferwagen und bringt die frischen Backwaren auf den Markt, zu den Cafés und Restaurants in der Region, die sie für ihre Kunden bestellt haben. Puh, was für ein Gewusel. Aber auch welche Ordnung und Disziplin. Wer hier arbeitet, muss erst einmal Frühaufsteher, aber ebenso diszipliniert sein und – das Wichtigste – einfach Freude an diesem außergewöhnlich-kreativen Job haben. „Über Bewerbungen kann ich mich nicht beschweren“, freut sich der Chef, der 34-jährige Tim Tegtmeier.

Hotels in ganz Deutschland bestellen Macarons & Co

Er ist der Boss von mehr als 30 Mitarbeiter:innen, 14 davon in der Backstube. Sie sind Köche oder Köchinnen, Konditor:innen, Auszubildende, Quereinsteiger:innen, haben einfach Spaß daran, Macarons, Törtchen, Pralinen und anderes ausgefallenes Gebäck mit viel Kreativität herzustellen. Scheint irgendwie Kult zu sein, denn die süßen Sachen sind immer gefragter, werden nicht nur auf dem szenigen Carlsplatz in der Düsseldorfer Altstadt verkauft, sondern auch in Hotels quer durch Deutschland. Die Hommage Hotels (Sylt, Bremen, Baden-Baden, Wiesbaden und Düsseldorf), das Severin’s Resort & Spa auf Sylt und einige weitere bekannte Hotels: Alle setzen auf die Pâtissierie von Tegtmeier und Team. Weil sie wissen, dass die Qualität stimmt, dass die Ware just in time angeliefert wird (übrigens mit der Logistik von BOS FOOD, einem anderen großen Gourmet-Player aus dem Rheinland), dass sie nicht direkt am Abend verdorben ist, sondern die Macarons auch zwei Tage nach dem Backen noch genießbar sind und dass das Team Düsseldorf eben auch individuelle Törtchen für einen einzelnen Kunden produziert.

Törtchen auch für Taylor Swift

„Wir lehnen kaum einen Auftrag ab“, sagt Tegtmeier nicht ohne Stolz. Ein Dessert für alle VIPs beim MTV Music Award, der in diesem Jahr in Düsseldorf verliehen wurde? Kein Problem. Es gibt aber zwei Empfänger bei diesem internationalen Event, einer in der Messehalle, der andere in der Rheinterrasse? Kein Problem. Taylor Swift gesehen? „Ne“, Tegtmeier schüttelt mit dem Kopf, „wir sind ja in der Küche.“ Promis kommen häufiger in den Genuss der süßen Sachen. Zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz, als der im historischen Ständehaus in Düsseldorf zu Gast war. Ihm zu Ehren – er wollte übrigens keinen Zucker – gab es ein Dessert in Ampelfarben mit Zitronenmousse, Erdbeergelee und Ricotta-Basilikum-Sorbet.

Die „süße Schiene“ war für Tim Tegtmeier nicht vom Beginn seiner beruflichen Laufbahn vorgezeichnet. Er machte zunächst in einem schicken Landgasthaus mit Rheinblick in Düsseldorf seine Kochlehre und wollte in diesem Beruf eigentlich weiterarbeiten. Dann wechselte er zu Harald Rüssel nach Trier und kam dort zum ersten Mal in Kontakt mit dem Posten des Pâtissiers. Es gefiel ihm, er blieb dabei. Es folgte „Learning by Doing“, so Tegtmeier im Rückblick.

2015 Auszeichnung zum Pâtissier des Jahres

Dieses „Learning“ muss dann aber so gut gewesen sein, dass er bei Joachim Wissler im „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach gleich in der Pâtissierie angestellt wurde. Danach folgten zwei Jahre bei Sternekoch Christian Bau im saarländischen Perl-Nennig, dort schon als Chef-Pâtissier, bevor es dann wieder zurück ins Vendôme ging. Wieder als Chef-Pâtissier. In dieser Zeit wurde er auch von Jürgen Dollase und der FAZ als „Pâtissier des Jahres“ ausgezeichnet.

2016 der komplette Wechsel, raus aus der Sterne-Gastronomie, rein ins kalte Wasser. Seine Mutter Ursula Wiedenlübbert hatte sich nach vielen Jahren als Geschäftsführerin eines IT-Unternehmens in Düsseldorf mit einer Kaffeerösterei selbstständig gemacht. Als dieses Geschäft immer größer wurde, ein Stand auf dem Carlsplatz dazu kam und die Nachfrage immer mehr stieg, fragte sie ihren Sohn, ob er sich vorstellen könne, dort Pâtissierie anzubieten. Er konnte. Erst wurde auf dem Markt am Stand produziert, dann, als immer mehr Kunden die hippen Pralinen, Törtchen & Co von Pure Pastry wollten, eine große Produktionshalle angemietet. „Die ist jetzt schon wieder zu klein,“ sagt Tegtmeier.

100 verschiedene Produkte gehören zum Portfolio

Denn das Portfolio an süßen Sachen wächst und wächst. Fast 100 verschiedene Produkte werden in der Backstube hergestellt: 18 Sorten Pralinen, 14 Sorten Macarons, 15 verschieden gefüllte Croissants, zehn verschiedene Törtchen, zehn Brotaufstriche sowie fünf Trockenkuchen gehören dazu, hinzu kommen die Auftragsprodukte. Und ganz neu: eine kreative, ungewöhnliche Törtchen-Serie, die das Team gemeinsam entwickelt hat. Unter anderem besteht diese Serie aus einem Avocado-Törtchen, das Azubi Filo entworfen hat und genussvolle Details aus der vietnamesischen Kultur widerspiegelt. Aber auch Orangen oder Zitronen, die keine Orangen oder Zitronen sind und mit einer extrem leckeren Creme und einem jeweils wechselnden Fruchtkern gefüllt sind, werden demnächst verkauft. Wer sich diesem Törtchen widmet, muss wissen, dass er die harte Schale der „Orange“ oder „Zitrone“ erst einmal sanft einschlagen darf, bevor er sich dem Inneren der so gar nicht süßen Frucht widmen kann – und dass dieses Törtchen auch als Hauptgericht reicht. Zutaten für die neue, regelrecht avantgardistische Törtchen-Serie sind ungewöhnliche Mischungen aus Johannisbeeren und Tomaten, aus Himbeeren, roter Bete und geräuchertem Olivenöl oder aus Cold Brew, Zitronengras und einer Infusion aus Schokolade. „Bei uns wird viel experimentiert, manchmal probieren wir jeden Tag, manchmal über zwei Wochen, aber auch schon mal über ein Jahr, bis alles stimmt.“ Ein Jahr „Liegezeit“ braucht übrigens auch die Orangenschale, die mit Limettenblättern in einem Essigsud liegt, bevor sie im Orangentörtchen landet.

Jährlich werden acht Tonnen Schokolade verarbeitet

Apropos Zutaten, hier vor allem Zucker: „Von Tag 1 an war uns wichtig, dass wir nicht zu süß backen wollen“, erzählt Tegtmeier. „Wir“ – das sind auch Robin Paes und Alex Glagla, die seit Firmengründung beziehungsweise seit vielen Jahren mit an Bord sind und den Chef vor allem bei vielen Außenauftritten unterstützen. Die beiden waren es auch, die beim großen Profi-Backen mitgemacht und den dritten Platz belegt haben. Also wenig Zucker, und wenn dann alle möglichen Arten davon: Kokosblüten-, Ahorn-, Standardzucker – „aber davon immer sehr wenig“. Da ist das Mehl schon wichtiger. Das mit der Typenzahl 00 kommt aus Meran in Südtirol. „Je niedriger die Typenzahl, desto mehr Protein“, verrät der Chef-Pâtissier. Baguette werden mit Mehltyp 56 gebacken, das bezieht er aus Frankreich, ein anderes Mehl aus dem Schwarzwald, das für Panettone aus Italien. Japanische Zutaten wie Yuzusaft, Kirschblütensaft, oder Pflaumenessig, aber auch geräuchertes Olivenöl aus Spanien besorgt die Hamburger Food Connection. Die Schokolade, eine der wichtigsten Zutaten in der Produktpalette von Pure Pastry, kommt aus Frankreich. „Auch wenn das jetzt nach Werbung klingt: Aber ich arbeite ausschließlich mit Valrhona-Schokolade“, so Tegtmeier, der mittlerweile auch Konditor-Meister ist. Die Qualität sei eben die beste. Und bei seinem Verbrauch von acht Tonnen pro Jahr sei gleichbleibende Qualität das Wichtigste.

Das „süße Deutschland“ besteht aus mehr als der Schwarzwälder Kirschtorte

Hohe Qualität strebt Tegtmeier bei all seinen Produkten an – und hat so ganz nebenbei noch eine Botschaft: Deutschland werde beim Thema Gebäck im weitesten Sinne im Ausland vor allem über die Schwarzwälder Kirschtorte definiert. „Das kann – bei aller Wertschätzung – ja wohl nicht sein,“ sagt der Düsseldorfer. Das wolle er auf jeden Fall ändern – mit seinen Törtchen, Pralinen, Macarons und ausgefallenen Croissants. Er weiß, dass seine Produkte immer etwas teurer sind – die neue Törtchenserie geht zum Beispiel mit sieben Euro pro Stück an den Start – aber er weiß auch, dass seine Kunden, egal ob in Düsseldorf, auf Sylt, in München oder am Bodensee, das auf jeden Fall wertschätzen.

pure-pastry.de

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